10’000 Franken für einen Mord: Die Geschichte hinter dem versuchten Auftragsmord in Bilten
Im dritten Teil der Glarner True-Crime-Serie wird es kompliziert. Alles beginnt mit einem Mann, der halbtot vor seinem Auto liegt. Die Spur führt die Glarner Ermittler bis nach Belgien und Albanien.
Im dritten Teil der Glarner True-Crime-Serie wird es kompliziert. Alles beginnt mit einem Mann, der halbtot vor seinem Auto liegt. Die Spur führt die Glarner Ermittler bis nach Belgien und Albanien.
Von Julia Benz
Es ist ein Abend im Oktober 2018. Verwelktes Laub liegt auf den Strassen und eine Strassenlaterne vor dem Spar-Supermarkt in Bilten erhellt den vom Regen nassen Gehweg in der Dämmerung. In der Nähe befindet sich ein Wohnblock, aus dem ein Mann namens Arian* kommt und zu seinem parkierten Auto läuft. Er ahnt nichts von den beiden Männern, die ihm auflauern. Mit Holzschlägern bewaffnet schlagen sie aus dem Hinterhalt schnell und wuchtig zu. So lange, bis das Opfer blutüberströmt und bewegungslos am Boden liegen bleibt. Das Motiv: Rache. Und 10’000 Franken Honorar.
Eine verhängnisvolle Klubnacht
Der Klub «Viktoria» im zürcherischen Birmensdorf ist am Wochenende ein beliebtes Ziel für Feierwütige aus Südosteuropa. Ausgelassen wird an einem Abend im Mai 2017 zu albanischen Beats getanzt, die aus den grossen Boxen dröhnen. Auch Arian ist gemeinsam mit zwei Freunden, Enis* und Gezim*, im Klub. Doch anstatt zu feiern, beginnen sie, zu randalieren, schmeissen Stühle um. Sie werden daraufhin mit folgenden Worten aus dem Klub gebeten: «Geh und sag ‹Gute Nacht› zur stärksten Person in Zürich.» Gemeint ist Bekim*, der Klubbesitzer. Schnell wird deutlich, dass er hier das Sagen hat. Doch Arian zeigt sich wenig beeindruckt und zückt ein Messer. Zu einer weiteren Eskalation kommt es aber nicht, er wird mit seinen Freunden kurzerhand endgültig aus dem Klub geworfen.
Die drei sind wütend und wollen den Rauswurf nicht auf sich sitzen lassen. Bekim, der bereits eineinhalb Liter Whiskey intus hat, folgt ihnen in Begleitung seines Freundes Dardan* vor die Eingangstüre des Klubs. Sofort wird Bekim von Enis und Gezim gepackt und festgehalten, während Arian mit einem Baseballschläger auf dessen Kopf, Rücken, Hände und Beine einschlägt. Auch Dardan wird attackiert, im Gegensatz zu Bekim wird er aber nur leicht verletzt. Die drei Angreifer lassen schliesslich von den beiden Freunden ab und verlassen das Klubgelände.
Bekim wird in das Kantonsspital Winterthur eingeliefert, wo die Ärzte einen Stirnbeinbruch diagnostizieren. Er gibt an, einen Velounfall gehabt zu haben. Was an diesem Abend wirklich passiert ist, erzählt er niemandem. Er verzichtet auf eine Anzeige. Auch, weil sich sein leicht verletzter Freund illegal in der Schweiz aufhält. Und weil er auf diese Weise die Suva infolge um insgesamt 50’000 Franken an Taggeldern betrügen wird.
Eine mörderische Idylle
Im Westen des Kosovos liegt die Gemeinde Decan. Die nahen albanischen Alpen und die blühende Landschaft, durch die sich ein klarer Gebirgsfluss schlängelt, prägen die Postkartenlandschaft. Doch der idyllische Schein trügt. Während des Kosovokrieges, von 1998 bis 1999, macht sich vor allem ein Mann aus Decan einen Namen, Ramush Haradinaj. Als Mitglied der albanischen paramilitärischen Organisation UCK kämpfte er für die Unabhängigkeit des Kosovo. Zwei seiner Brüder werden dabei von der serbischen, ebenfalls paramilitärischen Einheit Fark getötet, der unter anderem die Familie Musaj angehörte.
Es ist der Beginn eines langen und blutigen Streites zwischen der Familie Haradinaj und der Familie Musaj. Immer wieder kommt es bis heute zu gegenseitigen Schiessereien und Morden. Die Familienfehde wird bis in die Schweiz getragen und schliesslich auch zwischen den jeweiligen Familienmitgliedern Bekim und Arian im Kanton Glarus fortgesetzt.
Auge um Auge, Zahn um Zahn
Einige Jahre nach dem Kosovokrieg, im Jahr 2005, muss sich Haradinaj wegen Kriegsverbrechen vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten. Als führende Figur soll er während des Krieges unter anderem Folter, Mord und Vergewaltigungen als Kriegsmittel benutzt haben. Doch als von ursprünglich zehn Zeugen nur noch einer lebt und dieser nach einem Attentat seine Aussage zurückzieht, wird Haradinaj wegen des Mangels an Beweisen schliesslich freigesprochen. Er geht in die Politik und hat von 2017 bis 2019 das Amt des Premierministers im Kosovo inne.
Für viele Familien hat der Kanun, das alte albanisches Gewohnheitsrecht, noch immer Bedeutung. Die Ehre ist dabei ein wichtiger Inhalt. Wer diese verletzt, muss mit Vergeltung rechnen – Auge um Auge, Zahn um Zahn. Oder auch: Blutrache. Das sind die Regeln des Kanuns. Auf diese Weise wird gemäss Kanun die Familienehre wiederhergestellt. So ist es auch kein Zufall, dass Arian, der das Gleiche ein Jahr zuvor in Birmensdorf getan hat, in Bilten mit Holzschlägern angegriffen und niedergeschlagen wird.
Ein Mord für 10’000 Franken
Kurze Zeit nach dem Angriff auf Arian an besagtem Oktoberabend wird der Notruf verständigt und ein Rettungshubschrauber nähert sich dem Tatort. Arian hat Glück. Denn ohne die schnelle intensivmedizinische Notfallversorgung im Kantonsspital St. Gallen hätten ihn die Verletzungen vermutlich das Leben gekostet. Ein mittelschweres Schädelhirntrauma, eine Hirnblutung und weitere Verletzungen sind die Folgen des schweren Angriffs an diesem Oktoberabend. Verletzungen, die nicht nur körperlich Folgeschäden verursachen. Eine Depression und eine posttraumatische Belastungsstörung begleiten den 41-Jährigen fortan.
Während Arian um sein Leben ringt, fliehen die Täter zur nächstgelegenen Tankstelle, wo bereits ein Fluchtfahrzeug mit Chauffeur auf sie wartet. Einer der Täter ist nach dem Überfall mit dem Blut des Opfers beschmiert. Er wechselt seine Jacke noch auf dem Weg nach Zürich im Auto. In Dübendorf angekommen, findet ein Treffen mit den Auftraggebern statt. Diese warten die Beweise für die Ausführung des Auftrages in Form von Polizeimeldungen und Medienberichten ab. Erst dann händigen sie den beiden jungen Männern ihren Lohn für die ausgeführte Tat aus. Es sind total 10’000 Franken, die die zwei jungen Männer aus Albanien zu einer Reise mit einem Fernbus nach Zürich bewegt haben. Wie das Gericht später feststellt, für einen geplanten Mord, in Auftrag gegeben von Dardan und Bekim. Angeheuert hat die zwei Schläger eine Vermittlerin in Zürich.
Internationale Fahndung führt zum Erfolg
Marco Hämmerli von der Kantonspolizei Glarus ist als Ermittler für diesen Fall zuständig. Schwierig sind die Ermittlungen für ihn auch, weil die beiden Albaner nach dem Angriff aus der Schweiz fliehen können und in ihre Heimat zurückkehren. Da Albanien die beiden Verdächtigen nicht ausliefert, wird schliesslich international gefahndet. So gelingt es der belgischen Polizei, die beiden Albaner am Flughafen in Brüssel festzunehmen. Nach fast zwei Jahren intensiver Ermittlungen wird der Fall daraufhin im Juni 2020 abgeschlossen. Der darauffolgende Gerichtsprozess im Jahr 2021 schlägt hohe Wellen in den Medien. Der Aufmarsch ist so gross, dass der Gemeindesaal in Ennenda aus Platzgründen kurzerhand zum Gerichtssaal umfunktioniert wird.
Vor dem Prozess halten die Verdächtigen heimliche Absprachen. Die Polizeibeamten finden sogenannte Kassiber, also Zettel, die von den Angeklagten untereinander während der Untersuchung ausgetauscht werden. Wie Marco Hämmerli erzählt, enthalten sie Absprachen über die Aussagen, die vor Gericht getätigt oder eben nicht getätigt werden sollen. So etwa, was mit dem Bargeld passiert sei und wie am Verbrechen beteiligte Personen geschützt oder aus dem Spiel gelassen werden könnten. «Man konnte feststellen, dass wie nach Drehbuch nach diesen Mitteilungen vor Gericht gehandelt wurde», berichtet Hämmerli.
Im Jahr 2022 wird schliesslich in erster Instanz ein Urteil gefällt. Die beiden Albaner, die Arian fast zu Tode geschlagen haben, erhalten Haftstrafen in Höhe von jeweils zehneinhalb Jahren. Die beiden Auftraggeber, Bekim und Dardan bekommen zehneinhalb und 13 Jahre Gefängnis.
* Namen von der Redaktion geändert.
Verbrechen faszinieren. Der Grund dafür sind Endorphine, die bei Nervenkitzel und Spannung freigesetzt werden. Es erklärt, warum so viele Menschen sich von True Crime mitreissen lassen, obwohl es sich eigentlich um furchtbare Geschehnisse handelt. Was den «Glarner Nachrichten» fehlte, war eine True-Crime-Serie, bei der die Kriminalfälle aus dem Glarnerland aufgegriffen und als Geschichte neu erzählt werden.Für diesen Fall gab Kriminalpolizist Marco Hämmerli von der Kantonspolizei Glarus, den «Glarner Nachrichten» Auskunft. Als Ermittler in diesem Fall konnte er vor allem die familiären Hintergründe näher erklären. Er gab auch den Hinweis auf die im Kosovo zuvor begangenen Verbrechen sowie auf kosovarische News-Beiträge, die auf Englisch übersetzt wurden und bei den weiteren Recherchen in Bezug auf die Fehde zwischen den beiden Familien hilfreich war. Die «Glarner Nachrichten» profitierten auch von den Kenntnissen des Journalisten Fridolin Rast, der an den Gerichtstagen jeweils anwesend war und den Prozess genau verfolgte. Der Meteorologe Felix Blumer gab zudem Auskunft über die Wetterverhältnisse, sodass der Tag der Tat noch besser rekonstruiert werden konnte. Die «Glarner Nachrichten» stellen im Wochenrhythmus vier wahre Kriminalfälle aus dem Kanton Glarus vor.
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