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Hilfe zur Selbsthilfe

Während derzeit alle Augen auf die russische Invasion der Ukraine gerichtet sind, kämpft am anderen Ende des Schwarzen Meeres eine weiteres Volk um das Überleben.

Barbara
Gassler
10.11.22 - 11:54 Uhr
Ereignisse
Reiches Angebot auf dem Markt.
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zVg

Gerade wird in der Marienkirche eine Ausstellung des katholischen Hilfswerks «Kirche in Not» gezeigt. Es geht um Christenverfolgung, der weltweit rund 200 Millionen Menschen ausgesetzt sind. Immer wieder angegriffen wird auch das christliche Armenien. «Die benachbarten muslimischen Länder träumen von der Wiedererrichtung eines grossosmanischen Reiches, berichtet Florian Kamnik, der über eine vorarlbergische Hilfsorganisation mit dem Land in Kontakt kam und sich seit einem persönlichen Besuch stark einsetzt. Vorher verband er mit Armenien, wie die meisten, lediglich den von der Türkei verübten Völkermord an den Armeniern von 1915 und 1916. Die Zahl der Toten variiert je nach Quelle. 2003 anerkannte die offizielle Schweiz den Genozid und spricht von einer Million Deportierter und Getöteter.

Armenien ist etwa ein Drittel kleiner als die Schweiz und beherbergt circa drei Millionen Einwohner. Es grenzt westlich an die Türkei, nördlich an Georgien, südlich an den Iran und östlich an Aserbaidschan, mit dem es sich seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 immer wieder Gefechte um die Region Bergkarabach liefert. Seit die christliche Schutzmacht Russland mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt ist, kam es zwischen den verfeindeten Nachbarn wieder zu kriegerischen Handlungen.

Bildung als einziges Gut

«Kulturell ist Armenien mit der Schweiz vergleichbar», erzählt Kamnik im Gespräch mit der DZ. «Wirtschaftlich befindet es sich auf dem Niveau eines Drittweltlandes.» Das sei nicht zuletzt auf die Blockadepolitik der umgebenden Staaten zurückzuführen. «Es fehlt an allem. Das Einzige, was in Armenien reichlich vorhanden ist, ist Bildung.» Auf diesem Gebiet sei die Kaukasus-Republik sogar anderen voran. «Es kann passieren, dass man mitten im Nirgendwo auf Menschen trifft, die ein ganz hervorragendes Englisch sprechen.» Ausserdem sei das Land unheimlich fruchtbar. «Doch die Bewirtschaftung ist schwierig. Es stehen einzig uralte Sowjetmaschinen zur Verfügung, die ausgeschlachtet werden, um andere am Laufen zu halten.» Bemerkenswert an den Armeniern sei ausserdem ihr grosser Stolz und ihre Friedfertigkeit. «Eigentlich wollen sie nichts anderes, als in Frieden gelassen zu werden.»

Grosse Pläne

Bei dem eingangs erwähnten Besuch sei sein Herz voll für dieses Land entbrannt, erzählt Kamnik weiter. «Armenier sind arm, es ist jedoch nicht sichtbar.» Im Gegenteil, alles sei unheimlich sauber, und es bestehe ein unheimlicher Hunger nach Kultur. «Ich habe wohl noch nie so viele Klaviere in den Häusern gesehen.» Deshalb plant der Klavierbauer, in Zukunft immer wieder mal für einige Wochen nach Armenien zu gehen und dort Nachwuchs in seinem Beruf auszubilden. Das wäre als Gesandter der Hilfsorganisation «Emils kleine Sonne», die von zahlreichen Privatpersonen und Firmen unterstützt wird. Darunter die Davoser Organisation Canasmoro. «Im Moment betreiben wir in Gjumri, mit rund 170 000 Einwohnern die zweitgrösste Stadt Armeniens und etwa gleich hoch gelegen wie Davos, eine Intergrationsstätte für Kinder und Jugendliche mit geistigen und körperlichen Einschränkungen.» Mit Spendeneinnahmen und Materialtransporten soll es demnächst möglich sein, zusätzlich eine geschützte Werkstätte aufzubauen. Ausserdem besteht ein Projekt für Gewürzanbau, für eine Kläranlage und für verschiedene Lehrwerkstätten. «Was wir hier betreiben, ist Hilfe zur Selbsthilfe», sagt Kamnik und fährt fort, von der unglaublichen Gastfreundschaft, dem Charme und der Fröhlichkeit der Armenier zu erzählen.

Das Zentrum von «Emils kleine Sonne» mit Solarpanelen auf dem Dach in Gjumri.
Das Zentrum von «Emils kleine Sonne» mit Solarpanelen auf dem Dach in Gjumri.
zVg

Wer mehr erfahren möchte, dem sei am Sonntag, 13. November, der Tag der Völker der katholischen Pfarrei empfohlen. Florian Kamnik spricht während des Gottesdienstes von 10 Uhr in der Marienkirche und beantwortet anschliessend beim gemeinsamen Mittagessen im Pfarreizentrum Fragen.

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