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Gut geklaut ist halb gewonnen

Der Professor für vergleichende Studien an der ETH Zürich zeigte noch wenig beachtete Zusammenhänge auf, die zu einer prosperierenden Schweiz geführt hatten. Allen Widerwärtigkeiten zum Trotz.

Barbara
Gassler
27.10.22 - 12:24 Uhr
Ereignisse
Professor Patrick Ziltner bei seinem Vortrag im Kulturplatz.
Professor Patrick Ziltner bei seinem Vortrag im Kulturplatz.
bg

Gemessen an den äusseren Umständen – schwierige Topgrafie, keine Rohstoffe, kein Meeresanstoss sowie gelegen an der inneren Peripherie zwischen dem deutschen und dem französischen Block – ­habe die Schweiz eine denkbar schlechte Ausgangslage gehabt, führte Ziltner ins Thema ein. Ausserdem habe sie – ausser einem fast unregulierten Markt – keine der in vergleichenden Studien genannten Voraussetzungen für Reichtum aufgewiesen. Warum stieg die Alpennation trotzdem zu einem der reichsten Länder weltweit auf? Diese Frage sei ihm während seiner Aufenthalte in Südostasien immer wieder gestellt worden. So habe er schliesslich beschlossen, sich der Sache anzunehmen, beschrieb Ziltner die Ausgangslage. Dabei sei er zu ganz anderen Schlüssen gekommen, als was er noch in der Schule gelernt habe. Einer davon sei, dass die Schweiz gelernt habe, mit den Nachteilen zu leben und immer alles daran gesetzt habe, diese zu überwinden. Als Beispiel nannte er das Urnerloch. Dieser in den Jahren 1707/08 gebaute Verkehrstunnel sollte den Warentransport über den Gotthard erleichtern. «Das Saum­wesen war wichtig, brachte aber nicht viel Geld ins Land», urteilte Ziltner dennoch.

Ganz anders sah es bei der Reisläuferei aus. Vom 13. bis ins 19. Jahrhundert hätten rund 1,5 Millionen Schweizer Söldner in fremden Diensten gestanden. «Um 1500 machten sie rund 12 Prozent der gesamten Schweizer Population aus.» Fast die Hälfte von ihnen kehrte nie wieder heim, doch mit Anderen kamen auch grosse Reichtümer und ein dem ausländischen Adel abgeschauter Lebensstil ins Land.

Eine weitere Exportindustrie

Export blieb in der Folge der Motor der Schweizer Wirtschaft. Dies habe auch für die Textilindustrie gegolten, eine weitere unter den vielen Geschichten, die den Reichtum der Schweiz ausmache, fuhr Ziltner fort. In den Anfängen war es nur die Kombination von Landwirtschaft und Heimarbeit. «So war die Bevölkerung bereits vor der eigentlichen Industrialisierung an Lohnarbeit gewohnt», erklärte der Privatdozent deren Bedeutung. Nachdem man ursprünglich mit einheimischen Fasern gearbeitet habe, habe die Textilindustrie bald Baumwolle und Seide importiert, veredelt und wieder exportiert. «Zeitweise war Glarus – man stelle sich das vor – das weltweite Zentrum für die Produktion bedruckter Baumwollstoffe.» Man habe sich dazu indische Techniken angeeignet, diese kopiert und weiterentwickelt. «Als die Weltwirtschaft im 19. Jahrhundert anfing, global zu agieren, kannte die Schweiz das schon seit einem Jahrhundert.»

Abschauen und verbessern

Auf dem Prinzip kopieren und weiter­entwickeln, beruhe auch der Erfolg der ­Maschinenindustrie, nannte Ziltner ein weiteres Beispiel. Schnell habe man die aus dem Vereinigten Königreich importieren «Dampfkessel auf Schienen» ­weiterentwickelt und der Topografie angepasst: Die Zahnradbahn war geboren. Bei der Weiterentwicklung der Lokomotiven und später der Dieselmotoren hätten sich die Firmen bereits auf eine gut ausgebildete Arbeiterschaft und eine Vielzahl von geografisch nahe beieinander liegenden, miteinander vernetzten und im gleichen Bereich tätigen Unternehmen stützen können. Doch auch hier war man gezwungen, die Produkte auf dem internationalen Markt zu vertreiben, der hiesige war zu klein. Mit grossem Erfolg notabene. «Sulzer dominierte nach 1900 den weltweiten Markt für Schiffsmotoren.»

Dem Nebel entfliehen

Kopieren und verbessern war auch das Erfolgsrezept der jurassischen Uhrenindustrie. Allerdings, dass sie sich genau da etablierte, schreibt Ziltner ausser dem Vorhandensein einer armen ländlichen Bevölkerung, die zur Heimarbeit bereit war, einem natürlichen Phänomen zu: «Auf über 1000 m ü. M. hatte es keinen Nebel und damit genügend Licht für die Arbeit mit den winzigen Teilen.» Nachdem man anfänglich mit der Massenproduktion billiger Zeitmesser erfolgreich war, verschob man den Fokus mit dem Aufkommen einer erfolgreichen Konkurrenz auf die Produktion von Luxusuhren. «Geholfen haben dabei sicherlich die Marketingenies, die da am Werk waren.»

Die Erfolgsgeschichte der Schweiz fusse auf vielen Beinen, folgerte der Privatdozent für Soziologie zum Schluss. Doch im Grund sei das Erfolgsrezept immer gewesen, fremde Ideen aufzunehmen, sie zu studieren, anzupassen und weiter zu entwickeln. Bis heute. «Viele Faktoren konnte die Schweiz nicht beeinflussen, doch sie verstand es immer, daraus ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu machen.» Zwar habe der Werkplatz Schweiz in den letzten Jahren gelitten. «Da verpasste man die digitale Revolution.» Doch «hidden champions», wie Ziltner sie nennt, würden ihm Hoffnung geben, dass sich die Schweizer ­Erfolgsgeschichte fortsetze.

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