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Näfelser Firma sammelt für die Betroffenen der Erdbebenkatastrophe

Tolga Taspinar möchte den Menschen in der Türkei und in Syrien nach dem Erdbeben helfen. Da er im Glarnerland keine Sammelaktion gefunden hat, organisiert er jetzt seine eigene.

Sara
Good
09.02.23 - 04:30 Uhr
Ereignisse

Seit Dienstagmorgen ist im Betrieb der Firma Swiss Werbetechnik in Näfels nicht mehr ans Arbeiten zu denken – zumindest nicht für das eigentliche Geschäft. Wo normalerweise Fahrzeuge beschriftet oder Werbeartikel wie Feuerzeuge bedruckt werden, stehen jetzt Dutzende Kartonschachteln und Säcke. In ihnen sind unter anderem Kleider, Windeln und Nahrungsmittel verstaut. Acht Personen wuseln durch den Raum und sortieren die Spenden. Diese sollen von Näfels via Winterthur in die Krisengebiete in der Türkei und Syrien gelangen.

Der Geschäftsführer Tolga Taspinar versucht die Güterflut irgendwie zwischen seinen Geschäftsterminen zu bewältigen. Seit er am Montagmorgen im Radio von der Katastrophe erfahren hat, lässt ihn das Schicksal der betroffenen Menschen nicht mehr los. «Ich sagte am Montag zu meiner Frau, sie soll alles zusammensammeln, was wir spenden können», erzählt der Näfelser. «Am Abend hatten wir vier Säcke zusammen, aber ich konnte nicht nur mit vier Säcken nach Winterthur fahren.» Kurzerhand entscheidet er sich, eine eigene Hilfsaktion aus dem Boden zu stampfen, weil er im Glarnerland keine andere gefunden hat. Zudem könne er seine Geschäftsautos und seinen Transporter zur Verfügung stellen.

Sammelaktion in Näfels ist abgeschlossen

Die Hilfsgüter der Aktion wurden am Mittwoch nach Winterthur gefahren. Da in Näfels kein Platz zur Verfügung stehe, können vorerst keine weiteren Spenden angenommen werden, so Tolga Taspinar.

Volle Hütte

Am Dienstagmittag machen Tolga Taspinar und seine Mitarbeitenden auf Instagram und ihrem Whatsapp-Status auf die Sammlung aufmerksam. «Ich war baff. Schon am Nachmittag war die Hütte voll», erzählt Taspinar sichtlich berührt. Auch am Mittwochmorgen herrscht noch Hochbetrieb. Im Viertelstundentakt fahren Menschen in das Industriegebiet und laden säckeweise Hilfsgüter mit teilweise neuen Sachen ab.

Die Schwestern Ardita Capri aus Bilten und Blerta Ramani aus Reichenburg bringen Kinderkleider und Essen nach Näfels.
Die Schwestern Ardita Capri aus Bilten und Blerta Ramani aus Reichenburg bringen Kinderkleider und Essen nach Näfels.
Bild Sara Good

Darunter auch die Schwestern Ardita Capri und Blerta Ramani. Auf Whatsapp seien sie durch eine Kollegin auf die Hilfsaktion gestossen. Sie bringen Kinderkleider, Babynahrung, Windeln und Schuhe. Die Schwestern hätten keine direkte Verbindung zur Türkei oder zu Syrien. «Ich bin selber Mami. Wenn ich die Bilder aus den betroffenen Gebieten sehe, schmerzt mein Herz», so Ramani. Vor der Lagerhalle sprechen die beiden die Helferin Nina Kuriger an, die bei der Firma als Gestalterin arbeitet. Kuriger wäre froh um noch mehr Kartonschachteln. Capri und Ramani zücken ihr Telefon und organisieren kurzerhand Bananenschachteln und weitere Kartons. Eine Stunde später nimmt Tolga Taspinar die Verpackungen entgegen. Er ist überrascht, wie gross die Anteilnahme ist: «Egal ob Schweizer oder Menschen mit ausländischen Wurzeln, alle machen mit.»

Glücklicherweise habe er keine Verwandten im zerstörten Gebiet, sagt der 31-jährige Taspinar. Seine Eltern stammen ursprünglich aus der Region Afyon im Westen der Türkei, die vom Erdbeben nicht betroffen ist. «Als ich vom Erdbeben erfahren habe, verlor ich den Boden unter den Füssen. Meine Beine zitterten», erinnert er sich zurück. Er scrollte durch die sozialen Medien und war erschüttert über die Bilder. Vor allem als er Kinder sah, die zwischen den Trümmern liegen.

Syrien und die Türkei melden am Mittwoch bereits über 11’000 Todesopfer, mehr als 45’000 Menschen wurden bei den Erdbeben verletzt. Zahlreiche Länder zeigen Solidarität und schicken Hilfskräfte oder -güter in das Krisengebiet. Die Eiseskälte und zerstörte Infrastruktur wie Strassen oder Flughäfen erschweren die Rettungsarbeiten. Das räumt auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag ein, der ins Krisengebiet gereist ist. Die Hoffnung, in den Trümmern noch Überlebende zu finden, schwindet von Stunde zu Stunde.

Das Erdbeben mit der Stärke von 7,7 bis 7,8 traf die syrisch-türkische Grenzregion bei der Stadt Gaziantep. Am Montagmittag erschütterte ein weiteres Beben mit der Stärke 7,5 das betroffene Gebiet. Zahlreiche Gebäude stürzten ein. Laut der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften sind rund 150’000 Menschen obdachlos geworden.

Per Lastwagen ins Krisengebiet

Unter den Spenden sind auch viele Schlafsäcke oder Decken zu finden. Damit die Leute nicht ungeschützt in der Kälte ausharren müssen. «Viele Leute haben uns auch Geld angeboten, doch das nehme ich nicht an. Die Aktion ist mein eigener Goodwill», so Taspinar. Seine Angestellten sind ununterbrochen damit beschäftigt, die Sachen zu ordnen und in die Transporter zu verladen. «Bis am Abend wird wahrscheinlich niemand arbeiten. Am Nachmittag räumen wir die Bude wieder frei, sodass wir am Donnerstag wieder weitermachen können.» Tolga Taspinar fährt die Hilfsgüter nach Winterthur, dort werden sie in Lastwagen verladen und dann in das betroffene Gebiet transportiert. Wohin genau, wissen die Helfer in Näfels nicht, diese würden in der Türkei nochmals sortiert und dann verteilt. Da die Welle der Solidarität so gross gewesen sei, schliesst Tolga Taspinar eine zweite Sammelaktion nicht aus.

Sara Good verantwortet die Glarner Inhalte auf «suedostschweiz.ch». Zudem kreiert sie multimediale Inhalte und schreibt Artikel für die «Glarner Nachrichten». Sie hat den Diplomlehrgang am MAZ absolviert und Multimedia Production in Chur studiert. Mehr Infos

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