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Fallen uns nun die Berge auf den Kopf?

Es sticht ins Auge: Seit dem Felsabruch am Flüela Wisshorn vom 19. März 2019 ereigneten sich in der Landschaft Davos mehrere auffällige Sturz- oder Rutschereignisse. So die Duchli-Rüfe am 19. Juni gleichen Jahres, das Abgleiten des Seehorns am 19. März 2020 und nun der Felssturz an der Plattenfluh. Werden im Zuge des Klima­wandels unsere Berge instabil?

Barbara
Gassler
15.07.22 - 06:58 Uhr
Ereignisse
Durch Nachstürze von Felsabbrüchen muss mit Steinschlag gerechnet werden. Die markierte Fläche darf aus diesem Grund bis auf weiteres nicht betreten werden.
Durch Nachstürze von Felsabbrüchen muss mit Steinschlag gerechnet werden. Die markierte Fläche darf aus diesem Grund bis auf weiteres nicht betreten werden.
zVg

Die Fakten vorneweg: Seit dem Frühjahr wurden am Südhang der Plattenfluh verstärkt Gesteinsbewegungen beobachtet. Genug, um eine geologische Abklärung vorzunehmen, bei der man zum Schluss gelangte, dass sich da etwa 50 000 Kubikmeter loses Gestein befindet, das abzurutschen droht. Ausreichend Material, um dabei auch den auf der gegenüberliegenden Seite des Ducantals liegenden Bergweg zu erreichen. Aus Sicherheitsgründen wurde dieser daher Anfang Juni gesperrt. Über genau diese Route soll jedoch am 30. Juli die Kaiserstrecke der X-Trails, des Nachfolgelaufs des Alpine Marathons, führen. Daher hatte die Gemeinde beschlossen, eine provisorische Umgehung des gefährdeten Wegabschnittes zu erstellen, wie Patrick Gurini, Leiter technische Dienste der Gemeinde, gegenüber der DZ erklärt hatte. Doch das ist nun unnötig. Am vergangenen Freitag, 8. Juli, konnte vom Sertig aus ein grösserer Abgang aus der Felswand unterhalb der Plattenfluh beobachtet werden. Ein Augenschein und geologische Abklärungen am darauf folgenden Montag ergaben, dass das meiste des ­losen Materials bei diesem Rutsch ab­gegangen war und nur noch vereinzelt Geröll in der Höhe hängt. Dieses bietet aber noch immer einiges Potential für Steinschlag, weshalb vorläufig das Betreten des Bereichs unterhalb des Anriss­gebietes verboten ist.

Unten im Tal kann man sich gegenwärtig darauf beschränken, den von Starkregen in Mitleidenschaft gezogenen Weg aus­zubessern, und plant, ihn auf Samstag, 23. Juli wieder freizugeben. «Sofern nichts Aussergewöhnliches mehr passiert.»

Eindrückliche Blöcke erreichten den Talgrund. 
Eindrückliche Blöcke erreichten den Talgrund. 
zVg

Ja und nein

Denn das ist in der rauen Umgebung immer möglich. Zwar kamen seit Menschengedenken in der von Wasser, Eis und Bergstürzen geformten Landschaft Davos beobachtbare Grossereignisse wie die eingangs erwähnten nicht mehr vor. Mal abgesehen von den Rüfen im Anschluss an Starkregen. Doch diese werden nicht zuletzt dank der intensiven Verbauungen immer seltener. Vor diesem Hintergrund beunruhigt es, wenn nun plötzlich Bergrutsche gehäuft auftreten oder es zumindest so scheint. Dies besonders vor dem Hintergrund des immer häufiger thematisierten Auftauens des Permafrosts im Zuge des Klimawandels. Robert Kenner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am SLF im Bereich «Alpine Umwelt und Naturgefahren, Permafrost», relativiert: «Aus einem Einzelereignis kann noch nicht auf ein Muster geschlossen werden». So habe weder beim Felssturz am Seehorn noch bei der Duchli-Rüfe Permafrost eine Rolle gespielt. Anders jedoch am Wisshorn wie auch an der Plattenfluh, die beide etwas über 3000 Meter hoch sind. In beiden Fällen liegt dort das Anrissgebiet im Permafrostbereich. «Je nach Exposition und der Sonneneinstrahlung verläuft die Höhenlinie dabei unterschiedlich.» Zu tauen kommt die meist wenige Meter unter der Oberfläche liegende Permafrostschicht, wenn die Oberflächentemperatur vermehrt über dem Gefrierpunkt liegt. Dann kann Wasser tief in die Klüfte und Ritzen eindringen und dort seine destabilisierende Wirkung entfalten. Es erzeugt einen Reibungsverlust und kann sich in Klüften stauen, wodurch ein Druck im Berginneren entsteht. Beim Wiedereinfrieren dehnt es sich aus und erzeugt zusätz­lichen Druck. «Permafrost dagegen wirkt wie eine Versiegelung des Berges und ­verhindert das Eintreten von Wasser», erklärt Kenner. «Daher gibt es gute Gründe anzunehmen, dass solche Ereignisse in Zukunft zunehmen werden.»

Im unteren Ducantal war der nur wenige Meter oberhalb der Talsohle verlaufende Bergweg gefährdet.
Im unteren Ducantal war der nur wenige Meter oberhalb der Talsohle verlaufende Bergweg gefährdet.
zVg

Daten fehlen

Statistisch belegen lässt sich das allerdings nicht. «Das liegt einfach daran, dass entsprechende Aufzeichnungen dazu noch nicht lang genug existieren.» Auch ist es selbst heute noch schwierig, alle Sturzereignisse zu erfassen. «Bei der Plattenfluh wurden erste Meldungen über Bewegung im Fels allerdings schon im Winter gemacht.» Daraufhin wurden Überwachungsmessungen eingeleitet, welche eine Bewegung des instabilen Bereiches zeigten. Eine exakte Prognose über den Abgangszeitraum ist allerdings sehr schwierig. «Solche Ereignisse entwickeln sich über Jahrzehnte, manchmal sogar Jahrtausende», setzt Kenner in Relation. «Erst in den letzten Jahren bis Monaten werden die Bewegungen so gross, dass man von einem baldigen Absturz ausgehen kann». Da eine flächendeckende Überwachung nicht möglich ist, seien Beobachtungen aufmerksamer Berg­gänger oft die einzige Möglichkeit, gefähr­liche Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. «Dank solcher Meldungen an die Behörden kann reagiert und wo nötig Schutz- oder Überwachungsmassnahmen vorgenommen werden.» Beobachtungen über Felsstürze in entlegenen ­Gebieten können ausserdem dem SLF gemeldet werden, welches eine Datenbank zu diesen Ereignissen führt.

Wie eben an der Plattenfluh, wo zwar keiner der abgegangenen Blöcke bis auf den tief am gegenüberliegenden Hang verlaufenden Bergweg sprang. Für ernsthafte Verletzungen von Passanten ist das auch nicht notwendig. Die bei solchen Ereignissen herrschenden Kräfte reichen völlig aus, um Splitterschlag zu verursachen, der auch ernsthaft verletzen kann.

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