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Chur zieht bei Schulimpfungen die Notbremse

Auf den Churer Schularealen wird heute Montag doch nicht geimpft. Nach Morddrohungen hat die Stadt ihre Strategie geändert. Die Stadt fürchtet um die Sicherheit von Impfpersonal, Schüler- und Lehrerschaft.

Südostschweiz
03.10.21 - 19:19 Uhr
Ereignisse
«Ich bin wirklich entsetzt»: Patrik Degiacomi hat kein Verständnis für die Haltung eines Teils der Impfgegnerschaft.
«Ich bin wirklich entsetzt»: Patrik Degiacomi hat kein Verständnis für die Haltung eines Teils der Impfgegnerschaft.
Bild Olivia Aebli-Item

von Martin Deplazes und Olivier Berger

Dass die geplante Covid-19-Impfaktion bei einem Churer Oberstufenschulhaus nicht ohne Nebengeräusche verlaufen würde, war bereits am Donnerstag klar. «Die Emotionen gehen teilweise hoch, und die Fronten sind verhärtet», sagte Kantonsärztin Marina Jamnicki vor den Medien. In einschlägigen Chats des Kurznachrichtendiensts Telegram war schon da zu lesen, dass man «entschieden und konsequent hinstehen muss, um diesen möglichen Genozid zu verhindern». 

Beim Vergleich zwischen Impfaktion und Völkermord haben es die Gegnerinnen und Gegner nicht bewenden lassen. Gegenüber Radio Südostschweiz sprach Stadtrat Patrik Degiacomi gestern von Morddrohungen, welche gegen die Verantwortlichen ausgesprochen worden seien. Bereits am Samstag zog die Stadt deshalb die Notbremse: Statt wie geplant vor einem Oberstufenschulhaus würden die Jugendlichen der Churer Volksschule jetzt dezentral geimpft, hiess es in einer Medienmitteilung.

Angst vor einer Gefährdung

Die Stadt habe nicht riskieren wollen, dass es im Umfeld der Impfaktion «zu schwierigen Situationen» komme, sagte Degiacomi am Sonntag. «Die Sicherheit der Jugendlichen sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat die höchste Priorität.» Man habe deshalb «keine Form der Gefährdung provozieren» wollen.

Zu den erwähnten Morddrohungen sagte Degiacomi: «Ich bin wirklich entsetzt.» Dem Stadtrat und ihm sei wichtig, festzuhalten, dass die Entscheidung für oder gegen eine Covid-19-Impfung bei den einzelnen Menschen liege. Es gebe aber Kreise und Personen, welche diesen Entscheid für andere treffen wollten. «Das geht in keiner Art und Weise», sagte Degiacomi.

Auch an der Churer Stadtschule gehe eine grosse Mehrheit der Betroffenen «sehr unaufgeregt» mit dem Thema Impfen um, so Degiacomi. «Es sind einige wenige, die kein Verständnis haben, dass andere sich impfen lassen.» Auf die Ankündigung der Impfaktion an der Oberstufe habe er gerade einmal drei kritische E-Mails erhalten. Davon sei eine von einem Elternteil gekommen, die anderen beiden aus der Lehrerschaft und von einer externen Person. Der Elternteil habe von ihm unter anderem wissen wollen, ob er die Verantwortung dafür übernehmen könne, wenn Kinder in der Schule geimpft würden. «Ich kann diese Verantwortung gut übernehmen», sagte Degiacomi gegenüber Radio Südostschweiz.

Die Stadt habe überhaupt kein Problem damit, wenn Menschen unterschiedliche Meinungen zum Impfen hätten, so Degiacomi weiter. Problematisch werde es, «wenn Grenzen überschritten und andere Menschen bedroht werden». Dadurch würden die Impfbefürworterinnen und -befürworter in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt.

Nicht das Impfkritiker-Bündnis

Hinter den Morddrohungen gegen Verantwortliche des Kantons stehe übrigens nicht das Netzwerk Impfentscheid, welches im Umfeld der Impfaktion eine friedliche Flugblattaktion hatte durchführen wollen, so Degiacomi weiter. Der Stadtrat habe sich mit Verantwortlichen des Bündnisses getroffen; diese hätten sich in der Folge «in aller Form» von den Gewaltdrohungen distanziert. Die Stadt habe die Bewilligung für die geplante Kundgebung im Einvernehmen des Netzwerks Impfentscheid zurückgezogen. Die Gespräche zwischen Stadt und Verantwortlichen seien gemäss seinen Informationen konstruktiv verlaufen. Selber sei er an dem Treffen nicht anwesend gewesen.

«Keine Kapitulation»

Von einer Kapitulation vor der Impfgegnerschaft will Degiacomi trotz der Absage der Aktion an der Oberstufe nichts wissen. «Wir organisieren nur ein wenig anders.» Das Ziel sei es, Jugendliche ab zwölf Jahren an der Stadtschule einen niederschwelligen Zugang zur Impfung zu ermöglichen. Dieses Ziel werde die Stadt «nicht aus den Augen verlieren». Statt beim Schulhaus würden jene Kinder, welche sich dazu entschieden hätten, jetzt anderswo geimpft. Das könne beispielsweise bei einem Kinderarzt oder in einem Impfzentrum der Fall sein.

Für die Impfaktion hätten sich mehr als 100 der insgesamt 800 Jugendlichen der Churer Oberstufe angemeldet, sagte Degiacomi weiter. Er habe mit einer tieferen Zahl gerechnet. Ein Teil der Jugendlichen im fraglichen Alter seien bereits geimpft; andere hätten bereits eine Impfdosis erhalten. Die Stadt Chur hatte von den impfwilligen Jugendlichen eine Einverständniserklärung der Eltern verlangt, obwohl dies rechtlich nicht notwendig wäre.

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