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Die Steinform sollte bei der Risiko-beurteilung stärker berücksichtigt werden

Forschende des SLF und der ETH Zürich haben während vier Jahren Steinschlagexperimente durchgeführt und den bisher umfassendsten Satz an Messdaten zusammengetragen.

Davoser
Zeitung
30.09.21 - 08:00 Uhr
Ereignisse
Zwei Forschende bringen im Inneren des Betonsteins einen Sensor an, der beim Hinabrollen des Steins Rotation und Beschleunigung misst.
Zwei Forschende bringen im Inneren des Betonsteins einen Sensor an, der beim Hinabrollen des Steins Rotation und Beschleunigung misst.
Marcel Giger

Die Ergebnisse belegen unter anderem, dass radähnliche Steine eine breitere seitliche Streuung aufweisen als würfelförmige Steine.

Die neuen Erkenntnisse sind wichtig für die Gefahrenabschätzung und die Dimensionierung von Schutzbauten. Mit den Messdaten können Berechnungsprogramme geeicht und weiterentwickelt werden, um die Realität besser abzubilden.

Steinschlag ist im Alpenland Schweiz eine reale Bedrohung. Um die Gefährdung an einem Ort abzuschätzen und Schutzmassnahmen zu planen, berechnen Ingenieurbüros mit Hilfe von Computermodellen, wie weit herabfallende Steine rollen können. Doch inwiefern Masse, Grösse oder Form eines Steins dessen Bewegung beeinflussen, können die Modelle bisher nicht ausreichend berücksichtigen. Dafür müsste man sie mit Messdaten aus der realen Welt füttern – diese gab es jedoch bisher nur vereinzelt, systematische Untersuchungen von Steinschlägen fehlten hingegen.

Ein Helikopter transportiert einen Stein zum Auslösepunkt.
Ein Helikopter transportiert einen Stein zum Auslösepunkt.
zVg/Martin Heggli, SLF

Erstmals umfassende Experimente

Doch nun haben Forschende des WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF und der ETH Zürich während mehr als vier Jahren Steinschlagexperimente durchgeführt. «So konnten wir den bisher grössten Satz an Messdaten zusammentragen», sagt Andrin Caviezel, SLF-Forscher und Hauptautor der Studie. Die Forschenden verwendeten künstliche, mit Sensoren bestückte Steine aus Beton, die sie nahe dem Flüelapass einen Hang hinabrollen liessen. Dabei verglichen sie verschiedene Formen und Massen, rekonstruierten die kompletten Flugbahnen und bestimmten Geschwindigkeiten, Sprunghöhen und Auslaufbereiche (siehe Infobox). Ihre Resultate haben sie soeben in der renommierten Fachzeitschrift «Nature Communications» veröffentlicht.

Radförmiger (l.) und würfelförmiger (r.) Betonblock, je 2670 Kilogramm schwer.
Radförmiger (l.) und würfelförmiger (r.) Betonblock, je 2670 Kilogramm schwer.
zVg/Martin Heggli, SLF

Seitliche Streuung

Die wichtigste Erkenntnis: In welche Richtung ein Stein rollt, hängt viel stärker von seiner Form ab als von seiner Masse. Während würfelförmige Brocken in der Falllinie den Hang hinunterdonnern, ziehen radförmige Steine häufig zur Seite weg. Deshalb können sie einen viel breiteren Bereich am Hangfuss gefährden. «Das muss bei der Einschätzung von Gefahrenzonen berücksichtigt werden, aber auch bei der Platzierung und Dimensionierung von Steinschlagnetzen», sagt Caviezel. Denn weil radähnliche Steine mit der schmalen Seite in Steinschlagnetze prallen, konzentriert sich ihre Energie auf eine viel kleinere Fläche als bei würfelähnlichen Steinen – Schutznetze müssen also stärker sein.

Realistischere Modelle

Die Daten fliessen nun in das am SLF entwickelte Simulationsprogramm «RAMMS::ROCKFALL» ein. Ziel ist, neben dem Einbezug der Form auch realitätsnäher abzubilden, wie Aufprall und Absprung vom Boden die Geschwindigkeit des Steins beeinflussen. «So können wir ein verbessertes Programm anbieten, mit dem Ingenieurbüros zuverlässigere Berechnungen machen können», sagt Caviezel. Zudem wird der Datensatz auf der Plattform «Envidat» auch für andere Forschungsgruppen frei zugänglich sein. Diese können damit eigene Algorithmen kalibrieren oder neue Modelle entwickeln, welche die Realität noch genauer als bisher abbilden und den Schutz vor Steinschlag verbessern. (pd)

SLF-Forscher Andrin Caviezel bereitet einen der von der ETH entwickelten Sensoren vor, welche in den Steinen montiert wurden.
SLF-Forscher Andrin Caviezel bereitet einen der von der ETH entwickelten Sensoren vor, welche in den Steinen montiert wurden.
zVg/ Martin Heggli, SLF

Die Steinschlagversuche in Zahlen

Anzahl Betonblöcke: 183

Gewicht der Blöcke: 45, 200, 800 und 2670 kg

Anz. rekonstruierter Flugbahnen: 82

Verwertbare Aufschläge: 1394

Maximale Sprunghöhe: 11,1 m

Maximale Geschwindigkeit: 30,3 m/s = 109 km/h

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Eigentlich haben wir Buben das schon vor 60 Jahren festgestellt, aber nicht 3 Jahre für unsere Versuche gebraucht, ohne Bezahlung und natürlich ohne wissenschaftliche Dokumentation.

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