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Weichen Bündner Gletscher bald Stauseen?

Dass unsere Gletscher immer mehr schmelzen, ist keine Neuigkeit. Forscher der ETH haben nun berechnet, wie Stauseen an den Orten von ehemaligen Gletschern deren Speicherfunktion kompensieren können. Ein Bündner Experte schätzt die Situation ein.

Südostschweiz
15.11.19 - 04:30 Uhr
Ereignisse
Eis und bald schon Stausee? Forscher haben sich mit dieser Frage beschäftigt.
Eis und bald schon Stausee? Forscher haben sich mit dieser Frage beschäftigt.
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Bis Ende des Jahrhunderts werden viele Gletscher Geschichte sein, auch in Graubünden. An den Orten der Gletscher entstehen neue Landschaften. Forscher diskutieren nun darüber, wie man diese Landschaften für Stauseen nutzen könnte. Damit würde unter anderem die Energiegewinnung gesteigert werden.

Eine Forschungsgruppe der ETH Zürich und der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) liefern nun Zahlen zu dieser Diskussion. Die Studie untersuchte 185'000 Standorte. Das Team um Daniel Farinotti berechnete das weltweite Speicher- und Wasserkraftpotenzial, das in Stauseen bei weggeschmolzenen Gletschern steckt. Die Berechnungen der Forscher zeigen, dass sich schweizweit die heutige Energiegewinnung aus Wasserkraft um 13 Prozent steigern liesse. Ausserdem würden Stauseen die schwindende Funktion der Gletscher als Wasserspeicher teilweise übernehmen.

«Uns als Glaziologen wäre es lieber, dass die Gletscher noch lange existieren. Aber wir wollen mit dieser Studie einen anderen Blickwinkel auf die Gletscherschmelze werfen als Wasserknappheit und steigende Meeresspiegel», sagt Farinotti gegenüber der Nachrichtenagentur «sda».

Profit und Eingriff gleichzeitig

Felix Keller, Glaziologe und Leiter des Europäischen Tourismusinstitus an der Academia Engiadina, erklärt die Situation. «Die Erklärung ist einfach: Der Gletscher hinterlässt uns ein gutes Becken, das mit einem Stausee gefüllt werden kann. Allerdings ist das ein massiver Eingriff in die Natur.»

Im Vergleich zu einem erhaltenen Gletscher, sei die Erbauung von Stauseen wesentlich weniger attraktiv, sagt Keller auf Anfrage von Radio Südostschweiz.

Trotzdem gebe es positive Effekte durch die Möglichkeit eines Stausees. «Stauseen können Gletscher im Prinzip teilweise ersetzen. Wenn es keinen Niederschlag gibt, stellt der Stausee genügend Wasser den Fluss- und Grundwassersystemen zur Verfügung.»

Die Förderung der Wasserkraft sei ausserdem wichtig, um von klimaschädlichen Energieformen wegzukommen.

Biodiversität einzigartig

Sollte man nicht versuchen, die neuen Landschaften zu schützen? Ja, meint Glaziologe Keller. «Das Gletschervorfeld, beispielsweise beim Morteratschgletscher, ist im Bezug auf die Biodiversität eine ganz wertvolle Landschaft. Solche Landschaften müssen wir versuchen, zu erhalten.»

Keller ist der Meinung, dass das Erhalten der Gletscher die ökologischere Variante sei. Der Glaziologe ist Teil von Projekten, die Verfahren entwickeln, um Gletscher zu erhalten. Der Schutz von Gletschern und die Überlegungen zu Stauseen haben beide Vor- und Nachteile. Stauseen hätten den Vorteil der Verlässlichkeit. Die Mauer bleibe aber über mehrere Generationen erhalten und der Eingriff sei nicht wiederherstellbar. «Die Möglichkeiten sauber zu vergleichen, ist bei der Diskussion ganz entscheidend», meint Keller. (sda/ nua)

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