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Seltener Vogel zu Gast im Linthgebiet

Waldrappe stehen auf der roten Liste. 25 Tage lang hielt sich einer der seltenen Vögel – der Waldrapp Säntis – in der Linthebene auf. Danach flog er über die Alpen nach Italien. Seine Reise ist eine Erfolgsmeldung für Vogelexperten.

Linth-Zeitung
14.12.18 - 18:17 Uhr
Ereignisse

Text Klaus Robin

Die beiden Ornithologinnen Sylvia Dubach und Gertrud Hillenbrand machten diesen Herbst am Rand des Kaltbrunner Riets eine überraschende Entdeckung. Auf einem abgeernteten Acker suchte ein Waldrapp nach Nahrung. Die Art gehört in die Verwandtschaft der Ibisvögel und Löffler. Alle Ibisse der Welt sind kräftig gebaute, mittelgrosse Vögel mit einem nach unten gebogenen Schnabel und stämmigen Füssen. Das Erwachsenengefieder des Waldrapps weist auf den Flügeln ein kupferfarbiges Feld auf. Auffälliger ist jedoch ein etwas strubbelig wirkender Schopf am Hinterkopf, der ihm den zweiten deutschen Namen eingebracht hat: Schopfibis.

Kurz nach der Entdeckung des Waldrapps rief Toni Müller vom Heuberg in Uznach an und teilte mit, auf seinem Hausdach stehe ein grosser Vogel, der wenig Scheu vor dem Menschen zeige und der wiederholt auf den Wiesen rund um sein Haus nach Nahrung gesucht hätte. Und er sei beringt.

Der Schreibende selbst konnte den Vogel dann wenige Tage später beim Schulreservat in Benken entdecken, wie dieser mit seinem gebogenen Schnabel auf einer Viehweide in der feuchten Erde stocherte und in Serie Regenwürmer erbeutete. Dabei fiel auf, dass er hinkte. Gegen Abend versuchte er, einen Schlafplatz anzufliegen, was ihm aber nicht gelang. So war nicht herauszufinden, wo er übernachtete.

Ende des 17. Jahrhunderts ausgerottet

Wenig später war zu erfahren, dass der Vogel wieder auf dem Heuberg unterwegs sei. Dieses Mal hatte der Schreibende Glück und konnte den Waldrapp längere Zeit beobachten. Dabei gelang es auch, alles, was der Vogel an Technik mit sich trug, zu identifizieren: am linken Bein einen Alu-Ring mit der Nummer 51 972, am rechten einen blauen Kunststoffring mit der Nummer 258 und auf dem Rücken einen Satelliten-Telemetrie-Sender. Aufgrund dieses GPS-Senders wussten die Beringer genau, wo sich der Vogel aufhielt.

Nach einer Recherche ergab sich folgendes Bild. Der Vogel mit dem Namen Säntis war 2018 im Zoo Zürich geschlüpft und mit drei Artgenossen dem Artenschutzprojekt «Life Northern Bald Ibis» zur Wiederansiedlung des Waldrapps in Mitteleuropa übergeben worden. Die früher auch in Mitteleuropa brütende Art war Ende des 17. Jahrhunderts als Folge der exzessiven Nutzung als kulinarische Spezialität ausgerottet worden.

Säntis wurde also in eine Gruppe junger Waldrappe integriert und sollte, geführt von einem Ultralight-Flugzeug und durch mehrjährige zugerfahrene Vögel, den Weg aus dem Bodenseeraum über die Alpen in Richtung Toskana antreten. Dorthin waren bereits in früheren Jahren handaufgezogene Waldrappe begleitet worden, zur Überwinterung im WWF-Schutzgebiet Oasi Laguna di Orbetello in Italien.

Waldrapp Säntis hatte aber den Abflug verpasst, möglicherweise wegen einer Fussverletzung. So machte er sich selbstständig auf den Weg und erreichte die Linthebene. Hier fand er gute Nahrungsgrundlagen und frass Regenwürmer, Heuschrecken und Feldgrillen. Die Projekt-Mitarbeiterin Daniela Trobe informierte den Schreibenden mehrfach über den Standort des Vogels, der mit dem GPS-Sender im Zweistundentakt erfasst wurde. So war es dann möglich, Säntis am Übernachtungsplatz beim Teich im Abschnitt in Benken beobachten zu können und auch in seinem Nahrungsgebiet im Ausserhirschland in Uznach, wo er sich vor allem auf dem Hof von Josef und Ida Boos aufhielt.

Erfolgreich brütende Kolonien gegründet

So oft es ging, beobachtete der Schreibende die weitere Entwicklung des Vogels, bis dieser die Region verliess und in einem Zug nach Zermatt flog. Gleich am nächsten Tag startete Säntis zur Fortsetzung seiner Reise, flog auf 2800 Meter über Meer am Matterhorn vorbei ins Aostatal und dann weiter nach Turin. Von dort ging es in das Piemont. Wie Daniela Trobe mitteilt, hielt er sich zuletzt bei Saluzzo auf. Ob er den Weg zu seinen Artgenossen in der Toskana selbstständig finden wird, bleibt abzuwarten.

Der Waldrapp gehört zu den weltweit am stärksten gefährdeten Vogelarten. Um ihn vor dem Aussterben zu retten, wurde ein ganzes Bündel an Massnahmen ergriffen. Prioritär war der Schutz der letzten noch regelmässig benutzten natürlichen Brutplätze in Marokko.

In einem weiteren Schritt wurde das Fortpflanzungsverhalten in der Natur und im Zoo studiert. Mit diesem Wissen konnten in mehreren mitteleuropäischen Zoos erfolgreich brütende Kolonien gegründet werden. Im Anschluss daran wurden Wiederansiedlungsprojekte in Gang gesetzt. Dabei werden im Zoo geschlüpfte Jungvögel an ein Leben in der Natur angewöhnt.

Solche Projekte laufen sowohl in Spanien wie auch in Österreich und Deutschland. Finanziert werden sie von der Europäischen Union und weiteren Partnern. Zoo Schweiz, die Dachorganisation der wissenschaftlich geleiteten Zoos der Schweiz, unterstützt das mitteleuropäische Projekt finanziell und mit Jungvögeln, die in der Voliere geschlüpft sind.

Zu den Massnahmen, die diesen emblematischen Vogel in Mitteleuropa wieder heimisch machen sollen, gehört auch die spektakuläre Begleitung des Vogelzugs über die Alpen, um eine Zugtradition zwischen Sommer- und Winterlebensräumen zu entwickeln. Säntis hat die Alpenüberquerung nun selbstständig geschafft, eine höchst beeindruckende Leistung.

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