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«Niemand kann sagen, wie viel Druck das Gestein am Cengalo noch aushält»

Der Piz Cengalo bewegt sich weiterhin. Wie viel Druck er noch erträgt, kann niemand sagen, weiss Fachmann Martin Keiser. Die Bewohner von Bondo werden mit der latenten Gefahr weiterleben müssen.

Südostschweiz
14.08.18 - 04:30 Uhr
Ereignisse

Vor einem Jahr veränderte sich das Leben im Bergell radikal und für die Menschen insbesondere im Dorf Bondo wohl für immer. Nach den verheerenden Bergstürzen und vor allem Murgängen ist zwar wieder so etwas wie Normalität im Dorf eingekehrt, doch die Gefahr neuerlicher Murgänge schwebt stets düster über der Bevölkerung.

An einer Medienkonferenz haben die Verantwortlichen von Gemeinde, Kanton und Bund Bilanz gezogen, zurückgeblickt und versucht auch ein wenig in die nähere Zukunft zu schauen. Martin Keiser, dem Experten vom kantonalen Amt für Naturkatastrophen, kam dabei die wohl undankbarste Rolle zu: er musste von den drohenden Gefahren, die vom Piz Cengalo weiterhin ausgehen sprechen.

Regenfälle und Schmelzprozesse lösten Bewegungen aus

So musste Keiser davon berichten, dass der Berg sich - nachdem er den ganzen Winter und Frühling über ruhig verhielt - im Juli wieder zu bewegen begonnen hat. «Anfang Juli hat der Berg begonnen sich schubweise zu bewegen. Das war nach dem ruhigen Winter überraschend», sagt Keiser im Interview mit Radio Südostschweiz.

Auslöser für die Bewegungen waren einerseits Regenfälle aber auch Schmelzprozesse im Berginnern, die man von aussen schlicht nicht vorhersehen oder messen kann, so Keiser. «Die genauen Prozesse im Berg sind uns nicht bekannt und das macht eine Beurteilung immer schwierig.»

Weil die Val Bondasca von den Felsstürzen 2011 und 2017 ziemlich voll mit Gesteinsmaterial ist, sei es gut möglich dass Regenfälle neue Murgänge auslösten oder dass bei einem weiteren Felssturz das abgelagerte Material in Bewegung gerate und ein Schuttstrom bis nach Bondo ausgelöst werde, skizziert der Experte mögliche Szenarien.

Diese Szenarien sind auch in die Warn-Systeme und Schutzbauten einkalkuliert. Alle Massnahmen sind darauf ausgelegt.

Zuletzt hatte sich die Gesteinsmasse am Piz Cengalo um 2,5 Zentimeter bewegt. Für eine solche Masse sei das sehr viel, betont Keiser. Es sei aber unmöglich Prognosen zu stellen, wie viel Druck diese Masse noch ertrage, respektive wie viel Druck es brauche, bis sich Felsmassen vom Berg lösen. «Es können noch ein, zwei oder drei Zentimeter sein bis zum Absturz - das weiss niemand.»

Noch diesen Sommer kann der Berg erneut kommen

Anfang August hatten die Bewohner von Bondo bereits zweimal Glück, wenn man so will. Am 1. und am 8. August gingen starke Gewitter über dem Gebiet des Bergells, der Val Bondasca und des Cengalos nieder. Wie Keiser erklärt, seien diese zum Teil sogar stärker gewesen als die Gewitter im letzten Jahr, weil sie aber nicht Hauptschuttablagerungen in der Val Bondasca getroffen haben, sei es zu keinen schweren Murgängen Richtung Bondo gekommen. 

Und dennoch: es kann gut sein, dass noch diesen Sommer sich ein neuerlicher Bergsturz und/oder Murgänge in der Val Bondasca ereignen und der Bevölkerung von Bondo die Unsicherheit der Natur vor Augen führen. (fio)

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