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«Das ist eine reine Identifikationsgeste»

Wie bei Granit Xhaka oder Xherdan Shaqiri schlagen auch in der Brust des Glarners Osman Sadiku je ein Schweizer und ein albanisches Herz. Der Torjubel der beiden Fussballspieler hat für den Migrationsfachmann und alt SP-Landrat – im Gegensatz zur Fifa – aber gar nichts mit Politik zu tun.

Marco
Häusler
26.06.18 - 04:30 Uhr
Ereignisse
In Einsiedeln wird die Jubel-Geste eher scherzhaft als Symbol für die zwei Raben im eigenen Ortswappen interpretiert.
In Einsiedeln wird die Jubel-Geste eher scherzhaft als Symbol für die zwei Raben im eigenen Ortswappen interpretiert.
KEYSTONE

Osman Sadiku aus Mollis ist Migrationsexperte, war als solcher in Glarus viele Jahre lang für das Schweizerische Rote Kreuz tätig und vertrat die SP von 2013 bis 2014 im Landrat. Und er ist Schweizer und albanischer Doppelbürger. «Ich bin ein sehr zuverlässiger Schweizer Bürger», beschreibt er sich selbst, «aber ethnisch nun einmal gleichzeitig auch Albaner.»

Somit schlügen wie bei den Nati-Spielern, die wegen ihres Torjubels jetzt ins Visier des Fussball-Weltverbandes Fifa geraten sind, zwei Herzen in seiner Brust. «Der emotionale Aspekt ist eher ethnisch, der rationale eher schweizerisch.» Der Torjubel habe nichts mit Politik zu tun, findet er.

«Es jubeln so viele Fussballer. Manche Christen bekreuzigen sich nach einem Torerfolg, andere – oft Moslems – machen betende Gesten.» Bei den Albanern sei das ein wenig anders. «Sie identifizieren sich weniger mit einer dieser Religionen, aber stärker mit der Re- gion, für die der doppelköpfige Adler steht. Das ist eine reine Identifikationsgeste.»

Diese wertet Osman Sadiku denn erst recht nicht als Provokation gegenüber Serbien. Umgekehrt sei es gegenüber den albanischstämmigen Schweizer Spielern im Vorfeld des Spiels durchaus zu Provokationen gekommen. «Und das ja sogar vom Aussenminister Serbiens.» Im Umfeld des emotionalen Fussballspiels hätten sich Einzelne aber nicht nur auf serbischer Seite unangemessen verhalten. «Das fand leider auch auf der anderen Seite statt.»

Gegen jegliche Sanktion

Das Urteil der Fifa kannte Osman Sadiku zum Zeitpunkt des Gesprächs gestern noch nicht. Er fand jedoch, dass jegliche Art einer Sanktion falsch wäre. «Sonst müsste man den Spielern auch verbieten, zu beten oder sich zu bekreuzigen – und man dürfte gar keine Emotionen mehr zeigen.»

Politischen Handlungsbedarf sieht Osman Sadiku nicht – erst recht nicht in der Schweiz. «Ich glaube nicht, dass die Feindseligkeiten zwischen Serben und Albanern hier so gross sind.» Immer wieder einmal beschworen würden diese höchstens aus nationalistischen Kreisen. «Die gewöhnlichen Bürger erleben das hier gar nicht so.» Den umstrittenen Gesten sollte man seiner Meinung nach sowieso nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken: «Es ist schliesslich Sport, nicht Politik.»

Irgendein Geflügel

Osman Sadiku arbeitet zurzeit als Leiter des Asyl- und Flüchtlingswesens in Einsiedeln (SZ). Dort soll man sich gemäss einer Nachricht, die gestern auf dem Onlineportal Nau.ch publiziert wurde, über die Gesten der Nati-Spieler gefreut und diese mit dem eigenen Ortswappen in Verbindung gebracht haben. Dabei zeige dieses zwei Raben, heisst es im Internet weiter. Trotzdem soll der Einsiedler Bezirksammann Franz Pirker als Reaktion auf ein Bild mit der Überschrift «Chilleds, de Xhaka hät Eisiedle gmeint», das kurz nach dem Spiel gegen Serbien von Radio Energy publiziert wurde, gesagt haben: «Wir laden Shaqiri und Xhaka jetzt zu uns nach Einsiedeln ein.» Auf der einen Seite freue er sich über den plötzlich entstandenen Rummel, der so um Einsiedeln entstanden sei, wird der SVP-Politiker auf Nau.ch weiter zitiert. «Fussball bleibt aber Fussball – und nicht Politik.»

Und ob Rabe, Doppeladler, Papagei oder Grillhähnchen: Welches Geflügel mit der Geste tatsächlich gemeint war, wurde – zumindest in den ersten Momenten – weltweit sowieso völlig unterschiedlich interpretiert.

Denn ähnlich, wie das Xhaka, Shaqiri und Lichtsteiner getan haben, wird beim Gruppengegner Brasilien beispielsweise die Friedenstaube symbolisiert. Gleich auf mehreren elektronischen Kanälen wurde das imitierte Geflatter dort denn auch prompt als nette, versöhnliche Geste gedeutet. Anders, als das in einigen Sendungen vermutet worden ist, sei aber nicht die Friedenstaube gemeint gewesen, musste das später auch auf verschiedenen Onlineportalen wie beispielsweise www.terra.com.br korrigiert werden. «Die wahre Bedeutung ist viel komplizierter.»

Marco Häusler ist Dienstchef der Zeitungsredaktion «Glarner Nachrichten». Er absolvierte den zweijährigen Lehrgang an der St. Galler Schule für Journalismus und arbeitete bei der ehemaligen Schweizerischen Teletext AG und beim «Zürcher Unterländer», bevor er im Februar 2011 zu Somedia stiess. Mehr Infos

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