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Wenn das Leben fremd wird

Angehörige von Menschen mit Demenz müssen frühzeitig entlastet und unterstützt werden. Die Ingenbohler Ordensfrau Elisabeth Müggler hat in Glarus mögliche Lösungen aufgezeigt.

Südostschweiz
31.05.18 - 04:30 Uhr
Ereignisse
Aus dem Vollen schöpfen: Schwester Elisabeth Müggler beleuchtet das Engagement der Freiwilligen in der palliativen Demenz Care.
Aus dem Vollen schöpfen: Schwester Elisabeth Müggler beleuchtet das Engagement der Freiwilligen in der palliativen Demenz Care.
MADELEINE KUHN-BAER

Von Madeleine Kuhn-Baer

Es kann uns alle treffen», sagt Elisabeth Müggler. Zu ihrem Vortrag eingeladen hatten der Verein Krankenbegleitgruppe Glarus und Glarus Nord sowie Alzheimer Glarnerland. Die Planung entstand quasi «en famille», werden die beiden Vereine doch von Rita Schwitter (Krankenbegleitgruppe) und ihrem Mann Josef Schwitter (Alzheimer) präsidiert. Rund 60 Gäste hörten Müggler am Dienstagabend im Giebelzimmer des Kantonsspitals schliesslich zu.

Die Diagnose Demenz mache Angst – sowohl bei den Betroffenen als auch ihren Angehörigen, sagt die Referentin. Dieser Angst müsse man sich stellen. Unter Demenz versteht man eine Hirnleistungsstörung mit Dissoziation; «man bringt die Sachen nicht mehr zusammen». Betroffen sind Sprache, Handeln, Erkennen, Exekutivfunktionen. Erste Zeichen können ein leerer Blick sein; «da sein und nicht da sein», ein Verlust der zentralen Kontrolle, man hat keine Verknüpfungen mehr, respektive kann nicht mehr einordnen. «Stellt man so etwas fest, sollte man möglichst bald eine Abklärung machen.»

Detailliert stellt die Ingenbohler Ordensfrau das Angebot des von ihr mitinitiierten Vereins Wabe Limmattal. Der Verein Wachen und Begleiten Kranker und Sterbender ist seit 15 Jahren aktiv in der Begleitung von kranken, dementen und sterbenden Menschen, vorwiegend zu Hause. Laut Müggler ist das Verhältnis von Akutkranken und Menschen mit Demenz heute 50:50. «Die Veränderung ist deutlich sichtbar. Wir werden immer älter.»

Trauer beginnt bei der Diagnose

Freiwillige ersetzen nie Professionelle, sie sind aber eine wichtige Ergänzung und müssen gefördert und gefordert werden – durch Aus- und Weiterbildung, Supervision und Erfahrungsaustausch. Sie wachen bei Sterbenden, zu Hause und in Institutionen. Sie begleiten chronisch kranke und demente Menschen.

Und sie gehen mit Angehörigen in schweren Zeiten mit. Über den Tod hinaus wie etwa beim monatlichen Trauertreff. «Die Trauer beginnt bei der Diagnose», so die Referentin.

«Liebende und demente Menschen vergessen die Zeit, den Ort.»

Bei den Betroffenen und bei den Angehörigen soll die Lebensqualität möglichst hoch sein. Wichtige Punkte sind Selbstwertgefühl, Sicherheit, positive Emotionen, Zugehörigkeit, lieben und geliebt werden, Lust und Genuss, Vermeidung negativer Emotionen, körperliches Wohlbefinden. Bei Demenz heisst Palliative Care «Sens»: Symptombehandlung, Entscheidungsfindung, Netzwerk, Support.

Nicht vergessen sollte man die spirituellen Aspekte; die Suche nach dem Sinn unterstützen durch sehen, lieben, wertschätzen und zeigen, dass die Betroffenen gemeint sind, dass sie sich eingebettet und aufgehoben fühlen. «Wichtig sind Offenheit, Berührbarkeit, das Erfassen des Wesentlichen.»

Elisabeth Müggler zeigt diverse Formen der Entlastung der Angehörigen auf: am Tag durch Freiwillige, Nachbarn, Entlastungsdienst; in der Nacht durch Freiwillige, private Spitex, Verwandte; in den Ferien durch die Alzheimer Vereinigung und Kirchen; tageweise in Tageskliniken oder durch Freiwillige, eventuell auch durch eine 24-Stunden-Betreuung zu Hause.

Bezugsperson schaffen

Wichtig bei allen Arten der Begleitung ist das Bezugspersonen-System: «Dass nicht jeden Tag jemand anders kommt. Das ist für demente Menschen nicht zu schaffen. Das verwirrt sie.»

In Schlieren existiert ein Alzheimer Café in einer Trattoria als monatlicher Treffpunkt für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Ein fröhlicher, geselliger Nachmittag mit Livemusik, Kurzreferat, Austausch und Beratung, Kaffee und Kuchen.

Zudem treffen sich im Projekt «Wabe plus» Menschen mit leichter bis mittelschwerer Demenz drei- bis viermal monatlich von 11 bis 17 Uhr in der Gruppe. Mit Fachpersonen spazieren sie, essen, singen, tanzen, diskutieren, spielen, bewegen sich, sind kreativ tätig und trainieren das Gedächtnis. Das frohe Zusammensein schafft Kontakt, fördert die Lebensfreude, und die Resonanz dazu ist positiv; auch in der Bevölkerung.

«Wichtig bei der Begleitung ist die Haltung», betont die Referentin. «Liebende und demente Menschen vergessen die Zeit, den Ort – sie leben in einem Zustand reinen Seins. Menschen mit Demenz erleiden zwar einen Verlust der Person, aber die Energie, der Mensch, die Seele bleibt. Das ist zu respektieren durch einen achtungs- und würdevollen Umgang mit ihnen.»

Präsidentin wird Ehrenmitglied

Die lebhaft vorgetragenen Ausführungen werden mit einem grossen Applaus belohnt. Nach einigen Fragen geht es zum Apéro, bevor die getrennten Mitgliederversammlungen der beiden Vereine beginnen.

Bei der Krankenbegleitgruppe Glarus und Glarus Nord gibt es einen Wechsel im Präsidium: Dolores Stüssi löst Rita Schwitter an der Spitze ab. Die scheidende Präsidentin war seit der Gründung vor 14 Jahren im Vorstand. Zunächst als Kassierin, ab 2007 als Präsidentin. Ihr grosses Engagement weit über die Vereins- und Kantonsgrenzen hinaus wird spontan mit der Ehrenmitgliedschaft belohnt.

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