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Das Selfie auf dem Kran geht in die Hose

Die Feuerwehr Glarus bildet auch Spezialisten für die Höhen- und Tiefenrettung aus. Am Mittwoch trainierten diese in Glarus eine Kranrettung und einen Einsatz unter der Erde.

Sebastian
Dürst
19.05.18 - 04:30 Uhr
Ereignisse

Zum Glück regnet es an diesem Mittwochabend nur schwach. Der vermeintliche Selfie-König auf dem Kran der Schreinerei Kälin muss nämlich eine gute Stunde ausharren, bevor er wieder sicher auf die Erde gleiten kann.

Besser hat es das Opfer bei der parallelen Übung einige Meter weiter weg: Hier gilt es, einen Bewusstlosen aus einem Schacht zu retten, der mit Gas gefüllt ist. Angenehmer ist das, weil der Figurant in diesem Fall nur eine Puppe ist, die von den Rettern mit einem Dreibein wieder an die Oberfläche gehievt wird.

Beide Situationen sind klassisch für die Höhen- und Tiefenretter, erklärt Ruedi Stüssi, Kommandant der Feuerwehr Glarus. Er ist die treibende Kraft hinter der Einführung dieser «Spezialtruppe». Auslöser dafür waren zwei Alarmierungen für die Feuerwehr Glarus, die Stüssi als Kommandant erlebt hat. Einmal wurde seine Feuerwehr aufgeboten, als eine Person drohte, aus einem Fenster zu springen und die Feuerwehr sie mit irgendetwas unten auffangen sollte. «Die Feuerwehr ist nicht nur für das Löschen zuständig, sondern auch für das Retten von Menschen. Aber keine Feuerwehr im Kanton war für ein solches Szenario ausgerüstet. Wir haben uns damals überlegt, Turnmatten zu organisieren. Aber das ist natürlich keine optimale Lösung», erklärt Stüssi.

Ein anderes Mal lautete die Alarmmeldung: «Person in einem Silo, bewusstlos». Die Feuerwehren sind ausgebildet, Explosionsgefahr zu erkennen und mit unbestimmten Gasen und Dämpfen umzugehen. «Für den erschwerten Einsatz mit einer Tiefenrettung und Gas war das Know-how aber nicht vorhanden», erklärt Stüssi.

In Zukunft werden in beiden Fällen Spezialisten aus dem ganzen Kanton zum Einsatz kommen. Die Höhen- und Tiefenretter basieren auf dem Material der Feuerwehr Glarus, setzen sich aber aus Leuten aus dem ganzen Kanton zusammen. «Es sind Leute, die sich den Umgang mit Seilen gewöhnt sind: Bergführer, Baumpfleger, aktive Alpinisten und so weiter», sagt Stüssi.

Eine Windel gehört auch dazu

Aber zurück zum Selfie-König auf dem Kran. Dieser hat dem Übungsszenario gemäss versucht, auf dem Kran ein Selfie zu schiessen. Das ist zwar gelungen. Doch dann ist ihm das Herz in die Hose gerutscht: Er wagt sich in rund 15 Metern Höhe weder vor noch zurück. Die ausgerückten Spezialisten diskutieren kurz die Vorgehensweise und machen sich dann auf den Weg nach oben. Behände nehmen sie Sprosse um Sprosse der Kranleiter.

Oben angekommen, hieven sie mit einem Seil zusätzliches Material nach oben, damit der verängstigte Selfie-König nach unten gebracht werden kann. In der Zwischenzeit ist er auch noch ohnmächtig geworden und muss darum zuerst nach oben gezogen werden, bevor er nach unten gelassen werden kann.

Dort unten beobachten andere die Szene gebannt. Und dort unten ist auch etwas aufgebaut, das man sonst nur aus amerikanischen Filmen kennt: ein Sprungretter. Das ist eine Konstruktion, die innert Sekunden aufgestellt werden kann und Sprünge aus bis zu 16 Metern abfedert. Erstaunlicherweise ist dieses Produkt nicht durchgehend mit Luft gefüllt. Nur die Stützen an den Ecken werden mit Luft gefüllt. «Wenn jemand darauf fällt, faltet sich die Konstruktion in zwei Stufen zusammen und nimmt dem Sturz die Energie», erklärt Ruedi Stüssi.

Benützen dürfen die Retter oben am Kran den Sprungretter aber nicht: Es ist nur für den Ernsteinsatz freigegeben. «Wir könnten ja auch einfach ausrutschen», meint einer der Retter von oben herab im Scherz dazu.

Dann nimmt er aber sofort wieder seine Arbeit auf: Der Selfie-König hängt jetzt am Ausleger des Krans in einer Windel. Das ist ein stabiles Plastik-Dreieck, das als «Gstältli» verwendet wird. Langsam, aber sicher schwebt er darin zu Boden. Knapp am Sprungretter vorbei wird er von der Bodencrew empfangen und von der Windel befreit. «Nein, ein Selfie habe ich nicht gemacht, das Handy ist im Feuerwehrdepot geblieben», sagt der Selfie-König, der jetzt wieder ein Angehöriger der Feuerwehr Glarus ist, lächelnd.

Verbesserungen willkommen

Die Höhen- und Tiefenretter der Feuerwehr Glarus üben zwei Mal im Jahr. «Die Leute beherrschen das Handwerk schon», sagt Ruedi Stüssi. Bei den Übungen gehe es deshalb vor allem darum, die Zusammenarbeit zu üben und in einen Feuerwehr-Kontext zu stellen. «Diese Truppe gibt es seit dem letzten Jahr. Darum finden wir an den Übungen auch immer wieder Details im Vorgehen oder in der Ausrüstung, die wir anpassen müssen», erklärt der Glarner Feuerwehrkommandant. Das ist besonders wichtig, weil die Spezialisten nur zum Teil auch sonst aktive Feuerwehrmänner sind.

Das zeigt sich auch in der Tiefenrettung vom Mittwochabend. Viele der Bergspezialisten wollen eigentlich lieber nicht in die Höhe zum Kran, sondern in die Tiefe. Weil das Szenario dort auch erfordert, dass der Retter sich mit einem Atemschutzgerät ausrüstet. Lange diskutieren die Kletter-Experten, wie dieses am besten in die Tiefe befördert wird. Sie finden schliesslich eine pragmatische Lösung: Kurzerhand wird das Gerät in einen Transportsack gepackt, der zwischen den Beinen baumelt. Das funktioniert. So gut, dass es beim nächsten Mal auch ein lebendiges Opfer in der Tiefe liegen könnte.

Sebastian Dürst ist Redaktionsleiter der «Glarner Nachrichten». Er ist in Glarus geboren und aufgewachsen. Nach Lehr- und Wanderjahren mit Stationen in Fribourg, Adelboden und Basel arbeitet er seit 2015 wieder in der Heimat. Er hat Religionswissenschaft und Geschichte studiert. Mehr Infos

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