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Im Tierfehd gibt wieder die Natur den Ton an

Wiedersehen eines Ortes, an den (fast) keiner mehr hin wollte – oder konnte. Nun aber ist das Tierfehd nach der Fertigstellung des Kraftwerks wieder eine Reise wert. Unter dem Motto: zurück in die Natur.

Martin
Meier
13.04.18 - 04:30 Uhr
Ereignisse
Freier Fluss, grüne Wiesen: Wenn dann noch die mächtige Talstation der Transportseilbahn zurückgebaut ist, präsentiert sich das Tierfehd wieder als stille Oase von paradiesischer Schönheit.
Freier Fluss, grüne Wiesen: Wenn dann noch die mächtige Talstation der Transportseilbahn zurückgebaut ist, präsentiert sich das Tierfehd wieder als stille Oase von paradiesischer Schönheit.
MARTIN MEIER

Etwas fehlt: Das Lichter- unter dem Sternenmeer, wo die Erde bis zum Himmel reicht. Im Tierfehd ist des Nachts die Dunkelheit eingekehrt, tagsüber die Stille. Kaum ein Laster quält sich noch von Linthal den Berg hinauf. Man kann wieder durchatmen am «Ende der Welt». Das Tierfehd ist wieder, was es am Anfang war, vor dem Bau des Kraftwerks Linthal 2015: eine stille Oase von paradiesischer Schönheit.

Jetzt gibt wieder die Natur den Ton an. Tausend Meter tief stürzt sich ein Schneerutsch vom Selbsanft. Unter Donnergrollen, das als Echo von den Wänden hallt. Danach klingt nur noch das Plätschern der jungfräulichen Linth, die ihren Lauf wieder hinaus aus dem Tal sucht, das Wasser wieder Kiesbänke lagert, Tümpel und Seen bildet, über Fälle und durch Stromschnellen schiesst. Denn etwas fehlt: Das Wehr vor der Linthschlucht, das dem Fluss das Nass abgegraben hatte. Das Bollwerk wurde als eine der Renaturierungs-Massnahmen nach dem Kraftwerkbau wieder zurückgebaut.

Weg ist das meiste

Rückgebaut wurde auch das Camp Reitimatt, eine kleine «Stadt», die Hunderten von Arbeitern Unterkunft bot. Keine Narben in der Landschaft hat auch die einstige Zufahrtsstrasse hinterlassen. Das saftige Wiesland kann wieder den Wiederkäuern überlassen werden.

Weg ist ausserdem der Installationsplatz. Verschwunden sind die grossen, für die Druckstollen benötigten Rohre, die dort zwischengelagert wurden. Weg sind zudem die Zäune, die das Baustellenareal abriegelten. Was jetzt noch fehlt, ist der Rückbau einiger Container und der Abbruch der unteren Transportseilbahn, deren Sirenen bei der Stations-Ein- und -Ausfahrt auch schon öfter aufgeheult haben.

Wenn das dann auch noch weg ist, fehlt dem Tierfehd zum Alpenidyll nichts mehr. Dann thront das sagenhaft abgelegene Hotel «Tödi» wieder inmitten der Bilderbuchlandschaft alleine da. Wie vor 100 Jahren.

«Man müsste sich töten, wenn es nicht die Hoffnung auf Tierfehd gäbe», schrieb der österreichische Schriftsteller Karl Kraus damals seiner heimlichen Liebe, der ungarischen Baronin Sidonie Nadherny von Borutin. Dem Tierfehd schenkte er gar ein Gedicht, das schaurig-schön endet: «Du Tal des Tödi bist vom Tod der Traum.» Und übrigens: Tierfehd nennt man den Ort, weil sich bis dort hin einst das Wildbanngebiet Kärpf erstreckte und die Jagd (Fehde) von hier aus wieder zulässig war.

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