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Das furiose Winterfinale

Es wird kalt in Graubünden. Sogar bitterkalt. Russland schickt uns ab Montag arktische Grüsse, und mit diesem Wink bricht der Winter ganz zum Schluss fast noch einen Rekord.

Pierina
Hassler
24.02.18 - 04:30 Uhr
Ereignisse
Die winterlichen Gebilde aus Schnee und Eis entwicklen sich nach und nach zu regelrechten Kunstwerken.
Die winterlichen Gebilde aus Schnee und Eis entwicklen sich nach und nach zu regelrechten Kunstwerken.
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Meteorologe Tim Schär von der Wetterfirma Meteotest erklärt die frostigen Aussichten so: «Die Bisenlage erreicht Anfang Woche Graubünden und die kalte Luft fliesst nach und nach auch in die Täler.» Im Rheintal würden die Temperaturen tagsüber zwischen minus vier und minus sechs Grad liegen. «Auf 1000 Metern über Meer herrschen Temperaturen von etwa minus zehn Grad.» Und darüber wird es sogar noch ungemütlicher: In 1500 Metern über Meer liegen 18 Minusgrade drin.

Von der nordeuropäischen Halbinsel bis zu uns

Schuld am Schlotterwetter ist eine Kältewelle aus Sibirien. «Wenn man die kalten Luftmassen von Anfang nächster Woche anschaut, stammt tatsächlich ein grosser Teil aus Russland», bestätigt Wetterfachmann Schär. Es werde arktische Luft aus der Stadt Archangelsk und von der Halbinsel Fennoskandinavien über das russische Festland nach Zentraleuropa transportiert.

Kleine Geografiestunde: Archangelsk oder Erzengelstadt ist eine Hafenstadt mit rund 350 000 Einwohnern in Nordrussland. Fennoskandinavien ist die Bezeichnung für die nordeuropäische Halbinsel, die sich aus Finnland, der skandinavischen Halbinsel sowie Karelien und der Halbinsel Kola zusammensetzt.

Arctic Outbreak

Wenn also eiskalte Luft aus Russland Richtung Mitteleuropa strömt, reden Laien von der berühmt-berüchtigten russischen Kältepeitsche. Meteorologen nennen diese Wetterlage Arctic Outbreak.Ob russische Kältepeitsche oder Arctic Outbreak: Klar ist, der Winter schlägt nochmals so richtig zu. Und mit diesem furiosen Finale des Winters 2017/2018 heisst es jetzt: warm anziehen. Denn gefühlt ist es sogar noch viel kälter. Wegen starker Windböen von bis zu 60 Kilometern pro Stunde fühlen sich ein paar Grade Minus gleich noch doppelt so kalt an (siehe Kasten).

Gefahr für Obdachlose

Besonders gefährlich wird die aktuelle Kälteperiode für Obdachlose. Laut der «Schweiz am Wochenende» gibt es zwar keine zuverlässigen Zahlen darüber, wie viele Menschen in der Schweiz kein Dach über dem Kopf haben. Diverse Städte gehen aber davon aus, dass die Dunkelziffer sehr hoch ist.

In mehreren Städten sind aus diesem Grunde Kältepatrouillen unterwegs. Diese bringen die Obdachlosen entweder in Notschlafstellen oder bieten ihnen einen zusätzlichen Winterschlafsack an. In St. Gallen geben die Gassenküchen eine zusätzliche warme Suppe aus.

«Die Bise erreicht Anfang Woche Graubünden.»

Auch in Graubünden leben Menschen auf der Strasse. Hier bietet die Notschlafstelle am Hohenbühlweg in Chur Übernachtungsmöglichkeiten an. Und diese sollten besser genutzt werden, denn Ärzte warnen: Menschen, die jetzt die eisigen Nächte draussen verbringen, sind dem Risiko des Kältetodes ausgesetzt.

Tipps gegen die Kälte

«Achtung Kälte» gilt auch für Spaziergänger und Velofahrer: Besser Fäustlinge als Fingerhandschuhe tragen. Die Hände bleiben so länger warm. Ausserdem raten Fachleute, nicht zu enge Schuhe zu tragen, um die Durchblutung nicht zu behindern. Im Gesicht kann bei Minusgraden eine Skimaske ratsam sein.

«Achtung Kälte» für Autofahrer: Wer auf Glatteis ins Schleudern kommt, sollte voll auf die Bremse treten und das Lenkrad gut festhalten. Nur so entfaltet das Antiblockiersystem seine Wirkung.

«Achtung Kälte» für Gartenbesitzer: Tiefe Minusgrade bei fehlender Schneedecke sind für viele Gartenpflanzen gefährlich. Nur jene, die wirklich winterhart sind, überleben das. Alle anderen Pflanzen brauchen spätestens jetzt eine warme Hülle.

«Achtung Kälte» für Hunde: Hundehalter sollten nach dem Spaziergang die Pfoten ihres Tieres mit warmen Wasser abspülen und sie danach mit Melkfett eincremen.

Im Februar 1957 war es noch viel kälter: minus 30 Grad

Der Februar 2018 ist in Sachen Kälte fast rekordverdächtig. Aber noch viel kälter war der Februar 1957. Und dies nach milden Vormonaten. Ein Augenzeuge sagte zu Meteo-News: «Ich war in der RS vor 61 Jahren. Dann kam die grosse Kälte bis weit in den Frühling mit fast minus 30 Grad und starker Bise.» In Yverdon (Waadt) habe man die im Eis festgefrorenen Schwäne und Enten mit Pickel und warmem Wasser befreien müssen.

So schnell wie die Kälte damals gekommen war, so schnell verschwand sie Ende Februar dann auch wieder. Am 28. Februar wurden in Basel milde sechs Grad gemessen. Als Folge des Tauwetters konnte die Rheinschifffahrt den Betrieb wieder aufnehmen.

Was ist die gefühlte Temperatur oder der Chill-Factor?
Nach dem bisher milden Winter verstärken aktuell heftige Winde und Trockenheit bei vielen Menschen die gefühlte Kälte. Sie frieren mehr, als die gemessene Temperatur vermuten lässt. Die gefühlte Temperatur kann im Winter in einer kalten und vor allem sehr windigen Umgebung um 15 Grad oder mehr unter der gemessenen Lufttemperatur liegen.
Wind und geringe Luftfeuchtigkeit entziehen dem Körper sehr viel Wärme.
Das ist der Grund, warum wir uns in diesen Tagen wie in Sibirien fühlen. Je stärker der Wind ist, desto mehr Luft wird von der Haut abgetragen. Das wiederum verstärkt das Kältegefühl. Dabei ist es egal, wie warm man angezogen ist, weil die Wärme auch durch die Textilien verloren geht. Wenn es wie in diesen Tagen sehr trocken ist, nimmt die Luft mehr Feuchtigkeit von unserer Haut weg und kühlt sie so ab.
Die gefühlte Temperatur wird mithilfe des Klima-Michel-Modells berechnet. Es berechnet den Wärmehaushalt eines Modellmenschen. Bei diesem Modell werden Wind, Sonne und Feuchtigkeit berücksichtigt. (hap)

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