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Nazi-Zeitzeugin liest in Glarus aus ihrer Biografie

Die Wienerin Elisabeth Häubi-Adler geriet als Halbjüdin und Stieftochter eines SS-Schergen in die Mühlsteine des NS-Regimes. Sie und ihre Mutter, welche zuletzt in Mollis wohnte, überlebten unter widrigsten Umständen – davon erzählt ihre Biografie.

Südostschweiz
12.02.18 - 04:30 Uhr
Ereignisse
Elisabeth Häubi-Adler schreibt, wie sie als Kind unter widrigen Umständen die NS-Zeit überlebt hat.
Elisabeth Häubi-Adler schreibt, wie sie als Kind unter widrigen Umständen die NS-Zeit überlebt hat.
PRESSEBILD

Ihr Stiefvater hat der kleinen Liesel Schuhe mitgebracht. Schöne Kinderschuhe. Woher sie kommen, darf das Kind nicht fragen. Es trägt sie mit demselben Gefühl der Beklemmung, das auch die verwaisten Spielsachen und fremden Möbel in einer polnischen Wohnung auslösen, welche sie zeitweilig bewohnen.

Liesel schweigt, doch in all den Jahren spürt sie die Verzweiflung und innere Zerrissenheit ihres Stiefvaters: Verführt vom NS-Regime trat er wie viele junge Männer bei der SS ein und wurde Teil der Todesmaschinerie der Vernichtungslager.

Hungerjahre in Wien

Mit dem Eintreffen der Roten Armee endet 1945 zwar der Zweite Weltkrieg, aber etliche Hungerjahre im schwer zerstörten Wien folgen darauf.

Lange fristeten die Erinnerungen ein Dasein im Verborgenen. Doch dann traten sie wie eine Flutwelle ins Bewusstsein.

Geschwächte Kinder brechen in den zerbombten, eiskalten Schulzimmern zusammen, in den wenigen, dichtbelegten Wohnungen sind die Zustände unhaltbar. Liesels Mutter Maria bleibt als Witwe eines SS-Mannes von einer Rente ausgeschlossen, ihre Wohnung wird an Kommunisten weitergeben. Auch in den Fünfzigerjahren ist die Situation in Wien noch prekär, doch die unterernährte Liesel gehört zu den Auserwählten, welche zu den Bezügern der begehrten Pakete aus der Schweiz gehören. Schliesslich wird sie in den Sommerferien zu einer Pflegefamilie in Bern geholt, was ihrem Leben eine für immer bestimmende Wende gibt.

Die Zeit zum Schreiben kommt

Packend schildert Häubi-Adler in ihrer Biografie ihre Kindheitsjahre, die von einer unvorstellbaren Nazi-Indoktrinierung seitens Schule und Regime geprägt sind. Lange fristeten diese Erinnerungen ein Dasein im Verborgenen. Doch dann, so die Autorin im Nachwort zu ihrer Biografie, traten sie wie eine Flutwelle ins Bewusstsein, als sie sich mit dem Buchprojekt befasste. Die Zeit war gekommen, nachdem nicht nur ihr Mann gestorben und ihre Kinder aus dem Haus gegangen waren, sondern auch ihre Mutter 98-jährig in Mollis verstarb. Diese war in dritter Ehe mit dem Erben einer Glarner Textilfabrik, Hermann Zingg, verheiratet. Wie die Tochter hat sie trotz der vielen erlebten Traumatisierungen zu einem bemerkenswert erfüllten, selbstbewussten Leben gefunden.

Liesel schweigt, doch in all den Jahren spürt sie die Verzweiflung und innere Zerrissenheit ihres Stiefvaters.

Die Autorin, die heute im solothurnischen Lostorf lebt, erzählt am 16. Februar bei Baeschlin Bücher von ihren Erfahrungen. Die Zuhörerinnen und Zuhörer erwartet nicht nur eine Biografie zwischen Opfer- und Täterfamilie, sondern auch der ungemein spannende Bericht einer der letzten Zeitzeuginnen über ein bewegendes Kapitel aus der europäischen Geschichte.

Freitag, 16. Februar, 20 Uhr: Lesung und Begegnung mit Elisabeth Häubi-Adler bei Baeschlin Bücher, Glarus.

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