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Countdown für Davoser Hightech-Mission im Weltall

Auf dem Weltraumbahnhof Baikonur startet heute eine Sojus-Trägerrakete. Mit an Bord ist ein norwegischer Satellit. Der hat es in sich, und zwar in Form eines neuen, von den Davoser Sonnenforschern konstruierten Weltraum-Experiments.

Béla
Zier
14.07.17 - 05:29 Uhr
Ereignisse
Da darf kein Staub ran: Die Davoser Sonnenforscher Silvio Koller (links) und Pierre-Luc Lévesque präsentieren das «Clara»-Instrument im Reinraum. Bilder PMOD
Die Davoser Sonnenforscher Silvio Koller (links) und Pierre-Luc Lévesque.

Es ist die Stunde der Wahrheit. Funktioniert das Experiment oder wurde es durch den wilden Ritt auf der mächtigen russischen Sojus-Trägerrakete beschädigt und ausser Funktion gesetzt? Die Forschenden am Physikalisch-Meteorologischen Observatorium und Weltstrahlungszentrum Davos (PMOD) haben enorm viel Arbeit und Wissen in «Clara» gesteckt.

«Clara» steht für Compact and Light-Weight Absolute Radiometer. Der metallene Hightech-Kubus ist auf dem norwegischen Satelliten «Norsat-1» montiert. Dieser sollte sich heute nach gelungenem Start der Sojus-Rakete ab dem Weltraumbahnhof Baikonur (Kasachstan) auf seiner Umlaufbahn in einer Höhe von etwa 600 Kilometern um die Erde bewegen. Wenn nichts schiefgelaufen ist, wäre es das erste Mal, dass «Clara», dieses am PMOD neuentwickelte Experiment, im Weltraum zum Einsatz gelangt.

Daten für globale Klimaforschung

Mit «Clara» werde gemessen, wie viel Energie die Sonne abstrahlt, wie viel Sonnenenergie die Erde trifft, erklärt Wolfgang Finsterle. Die daraus gewonnenen Daten dienten hauptsächlich der Klimaforschung. Der 48-jährige Physiker Finsterle leitetdie Sektion Solarradiometrie am PMOD und ist wissenschaftlicher Verantwortlicher des «Clara»-Projekts. Er war also quasi Geburtshelfer dieses Experiments und hat dem Fluginstrument im Team mit Technikern und Ingenieuren des PMOD das Laufen beigebracht.

Warum ist es so wichtig zu wissen, wie viel Sonnenenergie die Erde trifft? Finsterle verzichtet auf Wissenschaftssprache und antwortet so: «Die Energie, die von der Sonne in das System Erde reingebuttert wird, ist die wichtigste Input-Grösse mit der man Klimaberechnungen anstellen kann.» Dass bald «Clara»-Daten fliessen, die am PMOD sowie von Klimaforschern weltweit genutzt werden, bedurfte jahrelanger Vorarbeit.

In Kanada durchgeschüttelt

Das Experiment «Clara» ist mit seinen 2,63 Kilogramm ein Leichtgewicht und passt mit einer Länge von 11,4 Zentimetern und Breite von 14,1 Zentimetern in einen Rucksack. Laut Finsterle bestand zu Beginn der Arbeiten daran noch kein konkretes Weltraumprojekt. Das PMOD wollte 2010 beim Start für den Prototyp einen neuen Radiometer für Boden- und Weltraummessungen entwickeln. Ab 2013 sei «Clara» dann auf den Einsatz im Weltraum ausgerichtet worden. Dazu wurde das Experiment – Finsterle bezeichnet es aufgrund seiner Form als Würfel – nicht nur in Davos, sondern auch an der Universität von Toronto (Kanada) auf seine Weltraumtauglichkeit hin getestet. Dies hat einen logischen Sinn, denn an dieser Universität wurde auch der norwegische Satellit «Norsat-1» gebaut. Schliesslich muss zusammenpassen, was später zusammen um die Erde kreist. Temperaturen von bis minus 40 Grad müsse der Würfel aushalten. Das sei ebenso getestet worden wie die Stromverbindung oder Datenkommunikation. Ein Schütteltest habe ebenfalls auf dem Programm gestanden.

Ein vergoldetes Innenleben

Das komplexe Innenleben des «Clara»-Würfels ist Hightech pur und wurde laut Finsterle durch das PMOD in Zusammenarbeit mit diversen Schweizer Industriebetrieben hergestellt. Involviert gewesen sei auch das Davoser AO-Forschungsinstitut. «Dort wurden für uns mechanische Komponenten gefräst», erklärt Finsterle.

«Clara» besteht hauptsächlich aus Aluminium und davon ist das meiste vergoldet. Eine Goldoberfläche sei ein guter Strahlungsisolator und diene der Temperaturregelung, führt Finsterle aus. Weitere Bestandteile seien aus Silber und Titan. Geplant ist eine dreijährige Einsatzdauer, «aber wenn es nicht kaputt ist, wird es weiterbetrieben», so Finsterle.

«Wir müssen Präsenz zeigen»

Das PMOD führt seit vielen Jahren im Weltraum Experimente durch. Eines befand sich an Bord der Weltraumstation ISS. Solche Forschungsmissionen seien für das PMOD enorm wichtig, betont Finsterle. «Das ist unsere weltweite Sichtbarkeit», denn gerade als kleines Institut müsse man «Präsenz zeigen, sonst verschwindet man». Dass das PMOD weltweit einen Spitzenruf geniesst, wird auch dadurch untermauert, dass die Davoser Sonnenforscher von einem renommierten chinesischen Forschungsinstitut zwecks Zusammenarbeit angefragt wurden. 2019 soll ein chinesischer Wettersatellit dann ebenfalls mit einem Compact and Light-Weight Absolute Radiometer um die Erde kreisen.

Ob «Clara» auf der aktuellen Mission funktioniert, wird durch einen Test überprüft, sobald sich der Satellit im Orbit befindet. Finsterle wird den Raketenstart vor Ort in Baikonur mitverfolgen: «Die Aufregung, und die Erleichterung, wenn alles geklappt hat, wird sicher gross sein.» Für ihn ist es der erste Live-Raketenstart, die Reise bezahlt er aus dem eigenen Sack.

Béla Zier ist Redaktor der gemeinsamen Redaktion Online/Zeitung «Südostschweiz» und «suedostschweiz.ch» und berichtet über die Region Davos und das Prättigau. Er ist seit 1993 für die Medienfamilie Südostschweiz tätig und arbeitet dort, wo er auch wohnt. In Davos. Mehr Infos

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