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Glarner Glocken erzählen die Weihnachtsbotschaft

«Glocken künden und sind ein Stück Ewigkeit.» Das sagt der Glockenexperte Hans Jürg Gnehm. Er stellt «suedostschweiz.ch» drei markante Glarner Geläute vor – mitsamt ihrer Weihnachtsbotschaft.

Fridolin
Rast
21.12.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Hans Jürg Gnehm, Glockensachverständiger
Hans Jürg Gnehm, Glockensachverständiger
PRESSEBILD

Linthal liegt im Schatten des Kilchenstocks, und erst am Ortstock droben scheint die Dezembersonne. Sigrist Paul Huber schaltet das Geläut der evangelisch-reformierten Kirche Linthal ein. Die klare Luft trägt den Schall, noch dämpft ihn auch kein Schnee. Glockenexperte Hans Jürg Gnehm beginnt hier die Glarner Glockentour, auf welche er die «Südostschweiz» mitnimmt. Er ist begeistert: «Das Linthaler Geläut tönt sehr gut und schön weich. Es setzt langsam ein, jede Glocke von der höchsten zur tiefsten schwingt langsam ein.» In sogenannter Idealmotiv-Stimmung mit cis – e – fis – a. «Oder A-Dur ohne Grundton», wie der Experte erklärt.

Adventsbotschaft in Linthal

Die Tiefste ist aufs Jahr 1782 datiert und wird seit dem Bau der Kirche geläutet, wenn auch seit 1969 umgestimmt vom tiefen d zum erhöhten cis. Verziert ist sie mit für die Zeit typischen Palmetten und Rocailles.

Die zweitgrösste (und zweittiefste) Glocke stammt von der seit über 650 Jahren bestehenden Aarauer Glockengiesserei H. Rüetschi AG. Die Glocke trägt eine Weihnachts- oder eher Adventsbotschaft. Ein kniender Engel verkündet die letzten Worte aus der Bibel, vom kommenden Reich Gottes: «Ja, ich komme bald. Amen. Ja, komm Herr Jesus.» Das sei einzigartig und eines der schönsten Motive, freut sich Gnehm über die Glocke und zitiert dazu den früheren deutschen Bundespräsidenten Gustav Heinemann: «Die Herren dieser Welt gehen, unser Herr kommt.»

Verkünderinnen von zeitloser Zeit

Gnehm kennt nicht nur alle Glocken im Kanton Glarus. Er hat sie 2001 und 2002 alle inventarisiert und kennt auch ihre Geschichte und Geschichten. Die alte Glocke wurde 1883 mit drei anderen zu einem vierstimmigen D-Dur-Akkord kombiniert. Doch die tönten allesamt zu hoch, sodass die alte dann eben 1969 umgestimmt wurde – und eine weitere mit dem Ton e gegossen. Die kleinste dagegen ist seither nicht mehr in Betrieb.

«Die Glarner Glocken sind sehr interessant, eine von ihnen stammt aus Basel.»

Gnehm kennt auch die Details und weist auf den Abguss zweier feiner Salbeiblätter auf der Glockenoberfläche hin. Zum einen beweisen sie den Ehrgeiz des Glockengiessers, fein zu arbeiten. Zum anderen gilt Salbei als heilkräftig und Unheil abwehrend. Und Gnehm zitiert die Legende vom Salbeibusch, der die Heilige Familie auf der Flucht vor Herodes unter seinen Zweigen versteckt haben soll.

Jeden Morgen, jeden Mittag, jede Vesper und jeden Abend sind die Glocken da. «Ein über 1400 Jahre alter Zeitplan, der auf die Gebetsstunden in den frühen Ordensklöstern zurückgeht», erklärt Gnehm. Sigrist Paul Huber findet die Glocken beruhigend, wenn er sie Tag für Tag läuten hört. Den beunruhigenden Teil ihrer Aufgabe haben sie abgegeben: Das Alarmieren haben die Sirenen übernommen, Sturmläuten würde heute vielleicht mit Ratlosigkeit quittiert.

Verborgene Fülle

Im Glarnerland sind die Kirchenglocken meist verborgen. Wenn auch im heute noch meist mächtigsten Gebäude im Dorf, in der Kirche. Doch das gereicht ihnen zu schönerem Klang, sagt der Glockenexperte: «Der Resonanzraum macht ihn warm und weich.»

In Betschwanden ist der Kirchturm so mächtig, dass alle vier Glocken in einer Reihe im eichenen Glockenstuhl Platz haben. «Sie läuten mit dem Motiv des Kanons vom Aufgang der Sonne», erklärt Gnehm. Die kleinste beginnt, die anderen setzen der Reihe nach ein. Zufällig, das kann man nicht steuern, jede hat ihren eigenen Takt. Doch die Töne sind voll und komplex, denn jede Glocke schwingt nicht in einem einzigen Ton, sondern in ganzen Akkorden. Und Gnehm sagt: «Man kann eine Glocke auch mit An-Singen zum Klingen bringen, nicht nur mit der Stimmgabel.»

Weihnachten ist auch im Betschwander Geläut präsent, mit der Botschaft der Engel, die Christi Geburt ankündigen: «Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.»

«Im Kanton gibt es wohl kaum andere Gegenstände aus dem 13. Jahrhundert, die heute noch funktionieren.»

Gemessen an den Tönen, in denen sie klingen, sind die Betschwander Glocken schwer, wie Gnehm sagt, oder: «In besonders schwerer Rippe gegossen.» Die Grösste hat 147,5 Zentimeter Durchmesser und ein Gewicht von 2275 Kilogramm. Gegossen hat das Geläut 1898 die frühere Giesserei Theus im bündnerischen Felsberg, als einziges Geläut im Kanton Glarus. Es hat ein dreistimmiges Geläute abgelöst, das noch aus der Zeit vor der Reformation stammte, schreibt Gnehm in einem online verfügbaren Artikel zu den Glarner Geläuten*.

Älteste datierte Glocke

Gnehm hat in mehreren Kantonen die Glocken inventarisiert, im Thurgau allein 688 in 163 Kirchentürmen. Er erzählt: «Ich bin durch meinen Grossvater zum Thema gekommen, der Sigrist war.» Die Glarner Glocken findet er ausgesprochen interessant. Neben zwei der Matter Glocken, die von den ältesten noch geläuteten in der ganzen Schweiz sein dürften, berichtet er von weiteren Trouvaillen: Zum Beispiel hängt in der reformierten Kirche Netstal eine historische Glocke, die von Basel ins Glarnerland kam.

Mit dem Glockenexperten besucht die «Südostschweiz» aber das Geläute im Nordturm der katholischen Kirche Netstal. Es stammt wie die Kirche aus den 1930er-Jahren. Hier hängt aber auch noch die früheste datierte Glocke im Glarnerland: 1420.

Glockengiesser seien oft auch Geschützgiesser gewesen in der Vergangenheit, erzählt Gnehm. In den Weltkriegen seien denn auch in Deutschland Zehntausende von Glocken eingeschmolzen und für Kanonen oder Munition verwendet worden.

Umgekehrt verkündeten Kirchenglocken nicht nur jeweils den Frieden, es gibt laut Gnehm auch explizit gewidmete Friedensglocken. Das Friedensmotiv auf der grössten Glocke, das in Netstal im 20. Jahrhundert erscheint, sei schon im Mittelalter häufig.

Es ist Friedensbotschaft und Weihnachtsbotschaft: «O REX GLORIAE CHRISTI VENI CUM PACE.» Übersetzt: «Oh Christus, König der Herrlichkeit, komme mit Frieden.»

Wie die Glocken klingen, hört Ihr im Video unten:

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