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Ladina Heimgartner: «Der Service public soll unabhängig sein»

SRG-Geschäftsleitungsmitglied und RTR-Direktorin Ladina Heimgartner sieht hinter dem Druck auf die SRG zum einen wirtschaftliche Interessen und zum anderen den Wunsch, die Meinungsbildung in der Schweiz zu beeinflussen.

Südostschweiz
18.11.15 - 17:36 Uhr
Politik

mit Ladina Heimgartner sprach Robert Ruoff*

Im Dezember beginnt in National- und Ständerat die Debatte um den Service public in den Medien. Im Schussfeld: die SRG.  Im Schussfeld: die SRG. Ladina Heimgartner, Direktorin von Radiotelevisiun Svizra Rumantscha und SRG-Geschäftsleitungsmitglied, verteidigt die Idee des unabhängigen Service public und verwahrt sich gegen Begriffe wie «Staatsradio» oder «Staatsfernsehen».

Frau Heimgartner, der Service public der SRG ist unter Beschuss.
Ladina Heimgartner: Ich höre, sehe und lese das. Aber ich frage mich, ob nicht die Schützen einfach sehr laut schiessen.

Was wollen denn die Schützen?
Auf der einen Seite steht die SRG mit den Gebühren, also mit einem Stück finanzieller Planungssicherheit. Und sie ist unabhängig. Auf der anderen Seite stehen unter anderen die Verleger. Ihr Geschäftsmodell – die klassische Zeitung – bricht ein mit der Digitalisierung. Das Internet bietet unendlich viel schnelle Information und saugt gleichzeitig viel Werbung auf, die früher in den Zeitungen, am privaten Radio und am Fernsehen war. Globale Unternehmen wie Google, Facebook, Amazon, saugen auch schon Werbegeld ab aus der Schweiz. Das führt zu einem harten Kampf um Marktanteile.

Es gibt aber auch politisch motivierte Schützen: Politiker aus SVP und FDP, der Gewerbeverband.
Die Gewerbeverbandsspitze hat die Gebührenordnung zu ihrem Thema gemacht, obwohl viele KMU mit dem neuen Gesetz gar keine Gebühren bezahlen. Dann gibt es liberale Kreise, denen die Idee des Service public grundsätzlich widerstrebt. Und es gibt Versuche, die Meinungsbildung in der Schweiz dadurch zu beeinflussen und zu kontrollieren, dass man Zeitungen und ganze Verlagshäuser erwirbt und mit eigenem Personal ausstattet.

Aus dem Gewerbeverband kommt ja als Privatisierungsvorschlag die Idee einer halbstaatlichen AG nach dem Swisscom-Modell.
Die SRG ist ein Verein. Sie ist also privatrechtlich. Aber man kann sie nicht kaufen. Sie ist öffentlich reguliert und finanziert. Aber sie ist staatsfern, auch wenn manche von «Staatsfernsehen» und «Staatsradio» reden. Staat und Politik haben keinen Zugriff auf die Inhalte. Ich hoffe sehr, dass das so bleibt.

Nun hat das Fernsehen des gebührenfinanzierten Service public aber die Werbung stark ausgedehnt. Ein Viertel der Einnahmen sind kommerziell.
Die Mischfinanzierung ist ein politischer Entscheid. Die Werbung bringt Mittel für das Programm, die sonst fehlen würden. Aber sie ist auch wichtig für die Wirtschaft. Das heisst: Auch davon profitiert das ganze Land.

Aber bei den Nutzern wächst der Widerstand gegen Werbung. Wäre nicht ein werbefreies Programm ab 20 Uhr wie in öffentlichen Programmen in Deutschland und Frankreich wünschenswert. Oder gar ein völliger Verzicht auf Werbung wie bei der britischen BBC?
Man soll jede Überlegung anstellen. Aber wenn man die Werbung streicht, heisst das 25 Prozent weniger Einnahmen. Leidtragende wären die Zuschauer, die für die gleichen Gebühren weniger Programmangebot bekämen.

Und was macht den Wert dieses Service-public-Programms aus?
Der Service public soll unabhängig sein von wirtschaftlichen und politischen Sonderinteressen und im Dienst der Gesellschaft stehen. Wir wissen aus der Geschichte, wie mächtig Radio oder Fernsehen sein können, wenn sie in der Hand einer Person oder einer übermächtigen Partei sind.

Sie finden, das gilt heute noch?
Ich finde das Modell des Service public extrem zeitlos. Unabhängigkeit ist heute so wichtig wie noch nie.

In einer Zeit, in der wir eine fast unbegrenzte Zahl von Informationsquellen haben?
Ja, es gibt eine ungeheure Masse. Aber genau darum braucht es ein Medienhaus, das Informationen nicht nur weiter transportiert, sondern sie verarbeitet und veredelt. SRF, RTR, RTS, RSI, swissinfo.ch sind Gütesiegel. Das heisst: Was auf diesen Kanälen kommt, ist gut. Der Service public steht für Qualität.

Ein schönes Wort: Informationen «veredeln».
Heute erreichen uns Informationen über Internet in Zehntelsekunden aus den Krisengebieten auf der ganzen Welt. Aber: Sind sie auch richtig? Oder sind sie manipuliert zugunsten von Sonderinteressen? Was sind die Zusammenhänge? Was ist ihre Bedeutung? Solche Fragen beantworten heisst: Informationen «veredeln».

Sie beschreiben klassischen Service public. Warum nicht den Rest, wie manche fordern, den Privaten überlassen, Unterhaltung, Sport?
«Sport» heisst ja nicht nur Rechte kaufen und dann senden. Die Rechteinhaber verlangen grossen technischen Aufwand und sie verlangen umfassende nationale Abdeckung. Auch das ist wieder Service public.

Inwiefern?
Man kann die Bedeutung des Sports für den Zusammenhalt in unserem Land gar nicht genug hervorheben …

… Fussball, der grosse Vereiniger des Landes?
Er überwindet kulturelle, soziale und Sprachgrenzen, mit Sommer, Shaqiri, Embolo im Fussball, im Tennis mit Federer und Wawrinka, oder mit Hussein, Kambudji und anderen in der Leichtathletik. Die SRG kann mit ihrer Reichweite heute noch ein Sport-Portefeuille anbieten, wie man es so umfassend in keinem vergleichbaren Land mehr hat.

Wenigstens im Sport und in der Unterhaltung kommen ja auch Secondos und Secondas zum Zuge …
Das ist ein Hauptargument, weshalb ich Casting Shows wie «Voice of Switzerland» so gut und so wichtig für den Service public finde. Wer dort auftritt, ist nicht nur präsent und hoffentlich erfolgreich, sondern wird auch gestützt von Fangruppen. Man hat selten ein so schönes Abbild der sozial und kulturell so vielfältigen Schweiz wie dort.

Während eben diese Eingewanderten in Wirtschafts- und Informationssendungen und im Programmschaffen kaum präsent sind.
Diesen Vorwurf höre ich immer wieder. Aber in der SRG arbeiten Menschen aus 32 Nationen, vor und hinter den Kulissen. Oft wird der Migrationshintergrund erst mit dem ausländisch klingenden Namen oder der Hautfarbe augenscheinlich. Es gibt aber auch viele andere, bei denen die ausländische Herkunft nicht so offensichtlich ist.

Es ginge darum, dass dieses Viertel der Bevölkerung ganz selbstverständlich die Möglichkeit hätte, auch ihre Schweizer Wirklichkeit in das Programm einzubringen: spürbar, hörbar, sichtbar.
Der Service public muss für die ganze Bevölkerung da sein, dem stimme ich zu. Und wir arbeiten daran. Wir haben etwa im rätoromanischen Gebiet seit Jahren viele Portugiesen, die ausgezeichnet romanisch sprechen. Diese Gruppe wollen wir ansprechen, ihnen signalisieren: Es wäre toll, wenn ihr auch an uns denken würdet als Arbeitgeberin. Das ist ein Beispiel. Wir wollen diese Vielfalt im Alltag verkörpern.

Und die Jungen? Ein paar Wochen «politbox» vor den Wahlen und nur online kann es ja wohl nicht sein?
Wieso «nur» online? Wenn wir die junge Generation ansprechen wollen, müssen wir dahin gehen, wo sie sind. Und die jungen User sitzen nicht mehr um 19.30 Uhr vor der «Tagesschau», sie holen sich die Inhalte auf ihr mobiles Gerät, wann es ihnen passt.

Gerade die «politbox» hat auch gezeigt, dass Junge sich für gleiche Themen interessieren wie Leute mittleren oder höheren Alters. Wäre es nicht die Zukunftsaufgabe des Service public, Gräben in der Gesellschaft stärker zu überwinden?
Grundsätzlich ja. Der Zugriff über Themen ist überhaupt interessant. Ob es Migration ist, Energie oder Umwelt, die Arbeitswelt oder die Freizeit: Da geht es nicht mehr nur darum, Altersgruppen oder kulturelle Gruppen gesondert anzusprechen, sondern Themen so anzugehen, dass ein übergreifendes Interesse entsteht. Da geht es eben auch nicht mehr um die künstliche Unterscheidung zwischen Kultur und Unterhaltung und Sport und Politik.

Sondern?
Der Umgang mit Medien ist heute viel organischer. Man bewegt sich entlang den Fragen, die einen beschäftigen in den Formen, die einen ansprechen. Reportage, Diskussion, Serie, Forum. Die strikte Trennung von Information und Unterhaltung und so weiter ist eigentlich überholt.

Also folgt jede und jeder einfach seinen Interessen?
Nein, man folgt bestimmten Themen, die häufig von breiterem Interesse sind. Wir kennen das etwa aus den sozialen Medien. Und das muss der Service public herausarbeiten.

Das heisst?
Der Service public ist und bleibt eine Institution, die wichtig ist für den Zusammenhalt der vielfältigen Schweiz. Er muss also auch das Wichtige für das Land und die Bevölkerung immer wieder zum Thema machen. Und dabei alle einbeziehen. Ob das gelingt, ob es immer gelingt, ist eine zweite Frage. Aber es sollte unser Antrieb sein.

 

Die RTR-Direktorin ist bei der SRG zuständig für das Dossier Service public

  • Ladina Heimgartner, geboren 1980, ist seit August 2014 Direktorin der Radiotelevisiun Svizra Rumantscha RTR und damit Mitglied der Geschäftsleitung der SRG, Präsidentin der Glückskette und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft. Die Bündnerin hat ihre journalistische Laufbahn bei privaten Medienunternehmen in den Kantonen Freiburg und Graubünden begonnen und als Leiterin des Ressorts Kultur beim «Bündner Tagblatt» abgeschlossen. Im Jahr 2007 startete Heimgartner ihre erste Etappe bei RTR, die sie in die Funktion der stellvertretenden Chefredaktorin führte. 2011 wechselte sie in die Generaldirektion der SRG, wo sie den Bereich Märkte und Qualität aufbaute und leitete.
  • Als Mitglied der Geschäftsleitung der SRG ist sie unter anderem mit der Koordination des Dossiers Service public betraut. Ladina Heimgartner kombiniert das Engagement für die klassischen Werte des Service public mit einem offenen Blick auf die technologischen und publizistischen Veränderungen der Medienwelt. (rr)
  • Die Serie «Service public: Die SRG-Debatte» leistet einen Beitrag zur Diskussion über den Service public der SRG, die in der Wintersession der Eidgenössischen Räte in die heisse Phase kommt. Der Publizist und Medienkritiker Robert Ruoff spricht für die «Südostschweiz» mit engagierten Köpfen über Stärken und Schwächen und eine mögliche Zukunft des Schweizer Service public.

Bereits erschienen ist am 12. November das Gespräch mit dem Historiker Jakob Tanner.

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Frau Heimgartner mag ich es sehr gönnen dass die NOBILLAG Initiative abgelehnt worden ist. Die Dame war sehr glaubwürdig, sachlich und ehrlich in ihren Argumenten, nicht wie einige politische Traumtänzer Graubündens. Fuer die Zentrale in Zürich wäre ein ja besser gewesen, denn ich habe das komische, dass sie sich auf dem Pickel der Randregionen (Regionaljournale, RTR), sanieren werden und Staatsmonopol weiter ausbauen.

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