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Vor 100 Jahren rollte die letzte Postkutsche über den Klausen

Mitte September vor hundert Jahren holperte die letzte Postkutsche – mit fünf Pferden vorgespannt – über den Klausen zwischen Glarus und Uri. Eine romantische Reise-Epoche ging damit zu Ende.

Südostschweiz
16.09.21 - 04:30 Uhr
Ereignisse
Postkartensujet aus dem Jahr 1921: Die Reisenden in der Postkutsche geniessen von der Klausenpassstrasse aus den Ausblick auf den Urnerboden, der grössten Alp der Schweiz. Auf dem Kutscherbock sitzen der Postillon und der Kondukteur.
Postkartensujet aus dem Jahr 1921: Die Reisenden in der Postkutsche geniessen von der Klausenpassstrasse aus den Ausblick auf den Urnerboden, der grössten Alp der Schweiz. Auf dem Kutscherbock sitzen der Postillon und der Kondukteur.

von Karl Horat

Vor hundert Jahren dauerte die Reise über den Klausen noch anderthalb Tage, mit einer Übernachtung der Reisenden in Urigen oder auf dem Urnerboden, wo sich auch Ställe für den Pferdewechsel befanden.

Am 25. Juni 1900 kursierte die erste Postkutsche über den Klausenpass und am 15. September 1921 bereits die letzte. Schon am nächsten Tag begannen die Postauto-Testfahrten mit «Car Alpin» genannten, vollgummibereiften Bus-Cabrios. Diese Gebirgsautopostwagen – von Saurer und Berna produziert – schafften die Strecke Altdorf–Linthal bei den ersten Probefahrten in drei Stunden und 20 Minuten. Im Sommer darauf übernahmen sie den Postautoverkehr über den Klausen ganz: Vorbei waren die Zeiten von trabenden Pferden vor gelbschwarzen Landauer-Kutschen und Posthorn-Signalen von Postillionen hoch oben auf dem Bock.

Die Urner Landsgemeinde hatte noch 1916 beschlossen, den Autoverkehr über den Klausen zu verbieten. Allerdings wurde dieser Beschluss bereits im Jahr darauf wieder aufgehoben. Somit wurde dann schlussendlich auch die Bahn frei für die legendären und weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten Klausenpass-Rennen, die zwischen 1922 und 1934 jeweils Zehntausende von Zuschauern an die Passstrasse lockten.

Die Car-Alpins wurden bis ins Jahr 1928 eingesetzt; dann mussten sie allwettertauglichen Postautos mit Kurbelverdeck Platz machen.

Erlebnisbericht von einer Klausen-Postkutschenfahrt

Nicht nur begeistert äusserte sich die 22-jährige Adele Küng über ihre Klausen-Fahrt im Sommer des Jahres 1921 in einer der Postkutschen. Sie erwähnt zwar die spektakulären Aussichten, klagt aber auch über die holprige und langsame Fahrt des Gefährts. Und: «Es stob wie in einer Zementfabrik», notierte sie. Die Passstrasse war noch lange nicht geteert.

Im Tagebuch der jungen Lehrerin – auf dem Flohmarkt entdeckt – schildert sie ihre Reise von Glarus bis nach Mailand. Unter dem Umschlag fanden sich auch ihre Reisepapiere, Fahrpläne und Quittungen. So saumselig, unbequem und staubig die Klausen-Passfahrt war – preisgünstig war sie offenbar keineswegs. Die junge Erzieherin, die in Altdorf den Gotthardzug nach Mailand erreichen wollte, bezahlte für die Fahrt fast 20 Franken. Dazu kamen 7 Franken für Nachtessen, Übernachtung und Morgenessen im Gasthaus «Klausen» von Jakob Schuler auf dem Urnerboden. Das war damals insgesamt etwa so viel wie ein Handwerker in einer Woche verdiente.

Adele schrieb: «Die Reisenden mussten sich in Linthal eine Stunde vor Abfahrt des Kurses anmelden und den Fahrpreis bezahlen.» Die Namen, Reiseziele und die Fahrtaxen wurden notiert. Die Vergebung der Plätze erfolgte in der Reihenfolge, wie die Mitfahrenden ankamen. Sah es erst so aus, als ob Adele gar keinen Sitzplatz im Gefährt ergattern könnte, trat dann schliesslich der Post-Kondukteur ihr seinen Platz auf der Bankette ab und er setzte sich zum Postillon vorne auf den Kutscherbock.

Dann knallte die Peitsche, der Postillon blies auf dem Posthorn das Abfahrtssignal – und begleitet von Hufgeklapper und Pferdeschnauben rollte die Kutsche dem Klausen entgegen. Adeles Sitz auf der Bankette, dem erhöhten Freiluftsitz hinten über der Kabine des Landauers, erwies sich als aussichtsreich. Nach Mittag wurde das Gast- und Kurhaus «Fruttberge» auf einer Terrasse am Südosthang des Ortstockes passiert. Auf dem Urnerboden wurde haltgemacht und im Gasthaus «Klausen» Quartier bezogen; erst am nächsten Morgen ging es weiter über den Pass. Adele rühmte den prächtigen Ausblick ins Tal mit dem Stäubi-Wasserfall der Alp Äsch unten auf der anderen Talseite.

Vom Postillion, einem wettergebräunten bärtigen Mann in rotem Gilet, der hoch vom Bock herab das Fünfgespann der Rosse souverän meisterte, war sie angetan. Zu seiner adretten Dienstkleidung gehörte ein lackierter Hut mit silberblitzendem Band und ein gestärktes Hemd mit schicker Halsbinde. Er verstand es, unterwegs auf dem Posthorn – nebst den Dienstsignalen – hin und wieder eine muntere Melodie zu blasen. Den rechthaberischen Post-Kondukteur mit der silbernen Dienst-Plakette auf der linken Uniformbrustseite mochte Adele weniger.

In alten Zeiten war der Klausen kein wichtiger Verkehrsweg

Im Gegensatz zu anderen Schweizer Alpenpässen war die Verbindung zwischen Glarus und Uri in alten Zeiten nie ein wichtiger Handelsweg. Es gab den schmalen, steilen Fussweg, auf dem die Urner Bauern ihr Vieh auf die Alpweiden des Urnerbodens ennet der Wasserscheide trieben – und damit waren diese zufrieden. Auf der Glarnerseite hatten aber die Textilfabrikanten seit der Eröffnung der Gotthardbahn jedoch zunehmend Interesse an einer befahrbaren Passstrasse als Anbindung an die wirtschaftlich bedeutende Nord-Süd-Verbindung.

Es gab im Jahre 1873 in Zürich erste Zusammenkünfte zwischen Textilherren aus dem Glarnerland und Vertretern der eher landwirtschaftlich orientierten Urner, bei denen eine befahrbare Verbindung zwischen den zwei Kantonen angedacht wurde. Zu diesem Zeitpunkt sollte Linthal schon in Kürze bis zum Bad Stachelberg mit der Eisenbahn erschlossen werden.

Aber auf der anderen Seite im Schächental entstand dem Bauprojekt Klausenpassstrasse Opposition. Die Begründung: Der Bau dieser Strasse bringe nur Lasten, und keinen Nutzen. Im Schächental würde ein arbeitsames und genügsames Volk leben – eine solche Strasse bringe nur Unzufriedenheit und Müssiggang ins Tal, wurde argumentiert. Nachdem dann aber auch die Schweizer Armee die Passstrasse ausdrücklich befürwortete, stimmte die Landsgemeinde dem Bau mehrheitlich zu. Und dann ging es mit der Realisierung zwischen 1893 und 1899 relativ schnell. Und dies obwohl die 46 Kilometer lange Strecke von Altdorf nach Linthal auf der Urner Seite ein paar bautechnische Schwierigkeiten bot. Doch selbst massive Kostenüberschreitungen wurden von Bund und Kanton akzeptiert. Nach Bürglen, Spiringen und Unterschächen zog die neue Strasse dann in einigen spektakulären Kurven bergwärts. Mehr als ein Dutzend Brücken und unzählige massive Stützwände mussten erstellt werden. Oberhalb von Urigen waren der 58 Meter lange Seelithaltunnel und eine anschliessende Galerie in den Fels zu sprengen. Die anschliessende «Lini», eine fast geradlinige, acht Kilometer lange Trasse bis zur Scheitelhöhe auf 1948 Metern wurde neu in den Berghang gelegt. Die Strecke über das vom Fätschbach durchschlängelte, fast vier Kilometer lange flache Hochtal des Urnerbodens bot dann keine grossen baulichen Schwierigkeiten mehr.

Für die Glarner Seite hatte der kantonale Strasseninspektor Schindler ein Projekt erarbeitet, mit dem 1895 begonnen wurde. Die Fruttwand wurde in der Gegend des Fruttbaches mit zwei Ganzgalerien von 71 und 127 Meter Länge überwunden. Dann wurde die Strasse beim Sonnenberg noch einmal talauswärts gewendet, um sie dann durch die obersten Fruttbergwiesen und die Unterfritternalp in ziemlich gestreckter Richtung der Kantonsgrenze beim Scheidbächli entgegenzuführen.

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts konnte die Strasse eröffnet werden. Sie erleichterte das Leben der Anwohner auf beiden Seiten um ein Vielfaches – und ermöglichte erste touristische Entwicklungen.

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Da kann man wahrlich sagen, eine interessante Geschichte diese Postkutschenfahrten auf der nicht geteerten Klausenstrasse.Zu den Gebirgsautopostwagen die eine Zeit von Altorf nach Linthal 3 Std und 20 Minuten brauchten ,würde ein guter Rennvelofahrer auch gut trainierter Velorennfahrer die Zeit unterbieten.Nur war damals die Strasse nicht geteert.

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