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Truppenabzug aus Afghanistan begonnen - Lage im Land angespannt

Zu Beginn des offiziellen Abzugs der internationalen Truppen nach fast 20 Jahren Einsatz in Afghanistan bleibt die Lage in dem Krisenland angespannt.

Agentur
sda
02.05.21 - 15:33 Uhr
Politik
ARCHIV - US-Marines stehen während der Zeremonie zum Kommandowechsel auf dem Militärgelände der Task Force Southwest im Militärlager Shorab in der Provinz Helmand. Nach fast 20 Jahren Einsatz beginnt der offizielle Abzug der internationalen Truppen aus…
ARCHIV - US-Marines stehen während der Zeremonie zum Kommandowechsel auf dem Militärgelände der Task Force Southwest im Militärlager Shorab in der Provinz Helmand. Nach fast 20 Jahren Einsatz beginnt der offizielle Abzug der internationalen Truppen aus…
Keystone/AP/Massoud Hossaini

Am Wochenende wurden aus mehreren Provinzen des Landes Zwischenfälle und Gefechte gemeldet, denen afghanische Zivilisten oder Sicherheitskräfte zum Opfer fielen. Auch der Flugplatz Kandahar wurde beschossen, wo sich in unmittelbarer Nähe noch US-Truppen befinden.

Für die allermeisten Afghanen kam die Ankündigung über einen Abzug der Amerikaner aus heiterem Himmel. Mitte April hatte US-Präsident Joe Biden erklärt, er werde ab 1. Mai die Truppen nach Hause holen, endgültig und ohne Bedingungen.

Rund 10 000 Nato-Soldaten der Ausbildungsmission «Resolute Support», darunter rund 2500 Soldaten aus den USA und rund 1100 aus Deutschland, werden nun bis spätestens 11. September das Land verlassen. Das Datum markiert den 20. Jahrestag der Terroranschläge in den USA von 2001, die der Anlass für den Einsatz waren.

Faktisch hat der Abzug bereis vor Samstag begonnen. Schon seit Wochen wird Material aus dem Land gebracht. Am Himmel über Kabul waren regelmässig Hubschrauber zu sehen, die Container herumflogen. Soldaten aus dem Nato-Hauptquartier erzählten, dass sie immer öfter auch alleine durch die einst belebten Strassen des Camps wandeln. Afghanische Militärs berichteten, die ausländischen Truppen hätten sich bei ihnen verabschiedet und in ihre hochgesicherten separaten Camp-Teile zurückgezogen. Das sei teils hochemotional abgelaufen.

In Kundus im Norden des Landes übergaben deutsche Soldaten diese Woche einen symbolischen Schlüssel. Der von der Bundeswehr genutzte Teil des Camp Pamir sei in die Hände der afghanischen Partner übergegangen, teilte das deutsche Verteidigungsministerium mit. Man verlasse Kundus mit Stolz und habe den Auftrag beim 217. Korps der afghanischen Armee erfüllt, hiess es weiter.

Die Nato erklärte, da die Sicherheit der Truppen höchste Priorität habe, würden keine Details zum Abzug mitgeteilt, etwa Truppenzahlen oder Zeitpläne für einzelne Staaten. Zuletzt waren 36 Nato-Staaten und Partnerländer an dem Einsatz beteiligt.

Bis zuletzt waren sich Experten uneinig, ob und wie die aufständischen Taliban auf den verspäteten Abzug der USA reagieren werden. Eigentlich hatte Washington noch unter Ex-Präsident Donald Trump mit den Islamisten vereinbart, alle US- und Nato-Truppen bis 1. Mai abzuziehen.

Die Taliban erklärten am Samstag, sie hielten sich eine Reaktion auf den Vertragsbruch offen. Die Führung der Islamisten berate darüber noch. Die Raketen auf das Flugfeld von Kandahar als bisher einzige, eher symbolische Antwort, sei eine «gedämpftere Reaktion gewesen, als viele erwartet hätten», schrieb der Afghanistan-Experte Andrew Watkins von der Denkfabrik ICG auf Twitter.

Für den Fall von Angriffen während des Rückzugs hält die US-Armee schwere Waffen bereit. Für Deutschland soll das Kommando Spezialkräfte (KSK) den Abzug absichern. Angriffe während des Abzugs wolle man mit «entschiedenen Reaktionen» beantworten, so die Nato.

Überrascht waren Beobachter bisher auch von der Tatsache, dass die Taliban die Ankündigung und den Beginn des Truppenabzugs nicht gross feierten. Experte Watkins erklärte, die verhaltene Reaktion der Islamisten habe massives Misstrauen offenbart: Viele Taliban glaubten schlichtweg nicht, dass die Amerikaner wirklich abzögen, schrieb er auf Twitter weiter.

Während die internationalen Truppen packten, dauerte die Gewalt im Land auch am Wochenende an. Einem Sprecher des US-Militärs in Afghanistan zufolge wurde bei dem Beschuss des Flugplatzes in Kandahar am Samstag niemand verletzt und es habe auch keine Schäden gegeben. Man habe den Vorfall mit einem «Präzisionsschlag» beantwortet. Dabei seien zusätzliche Raketen zerstört worden, die auf den Flugplatz gerichtet gewesen seien.

Schwere Gefechte wurden aus dem westlichen Herat gemeldet. Auch rund um die Provinzhauptstadt Kalat wurde zwei Nächte lang um Kontrollpunkte der Regierung gekämpft. In der Provinz Gasni überrannten die Taliban Samstag einen Kontrollposten. Am Sonntag war noch nicht klar, was mit den rund 30 Soldaten passiert ist. Bei weiteren Vorfällen in mehreren Provinzen kamen mehrere Zivilisten und Sicherheitskräfte ums Leben.

In grossen Teilen der afghanischen Bevölkerung herrscht Sorge vor dem, was nun kommen könnte. Afghanische Soldaten berichten von Unruhe in den eigenen Reihen und davon, dass Munitions- und Waffenbestände der Armee zunehmend «verschwinden». Manche Kameraden würden sich offenbar schon auf einen Bürgerkrieg vorbereiten.

Bei wieder anderen löst der Abzug blanke Angst aus. Vor allem finanziell gut situierte und liberale Afghanen wollen das Land verlassen. Versicherungsmakler in Kabul sagen, sie hätten viele neue Objekte zum Verkauf bekommen, aber niemand wolle nun etwas kaufen. Viele Menschen versuchen, ihre Autos und andere Habseligkeiten zu verkaufen, um Bargeld zuhause zu haben, «für alle Fälle». Manche drückten aber auch Freude über den Abzug aus.

Kaum jemand traut den Friedensverhandlungen in Doha zwischen den Taliban und der Regierung. Diese kommen nicht voran. Die Kabuler Denkfabrik Afghanistan Analysts Network schreibt in einer Analyse, ein Kriegsende durch Verhandlungen sei das «am wenigsten wahrscheinliche Szenario».

Wahrscheinlicher sei, dass die Taliban früher oder später versuchten, Territorium zu erobern; aber auch ein militärischer Durchmarsch der Islamisten sei unwahrscheinlich, da diese die afghanischen Sicherheitskräfte unterschätzten. Am Ende würden wieder unzählige Afghanen leiden.

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Dort drüben in Afghanistan, im Irak oder in Syrien hat man sich schon immer gerne bekämpft und bekriegt, jeder gegen jeden, wegen der Ehre, des Glaubens und so. Und das wird man auch die nächsten Hundert Jahre nicht ändern, der "Westen" schon gar nicht. Und kommen sie als angebliche "Flüchtlinge" nach Europa, so bekämpfen und bekriegen sie sich auch hier, diesmal allerdings unterstützt mit reichlich Sozialhilfe.

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