×

Kanton hat bewusst nicht informiert

Die Gemeindepräsidentin, der lokale Arzt und die Anwohner sind verärgert über die Nicht-Kommunikation beim Corona-Ausbruch im Jugendlager in Parpan. Der Kanton erachtete es als nicht notwendig, die Gemeinde zu informieren.

28.07.20 - 04:30 Uhr
Politik
Spiel und Spass mitten im Dorf: Unter anderem beim Parpaner Spielplatz haben sich gemäss dem besorgten Leser Reto Bernhard  die Kinder des Jugendlagers Adonia getummelt.
Spiel und Spass mitten im Dorf: Unter anderem beim Parpaner Spielplatz haben sich gemäss dem besorgten Leser Reto Bernhard die Kinder des Jugendlagers Adonia getummelt.
OLIVIA AEBLI-ITEM

In der Gemeinde Churwalden sind die Ortsansässigen verärgert. Vom lokalen Arzt über die Gemeindepräsidentin bis zu den Anwohnern fühlen sich alle brüskiert über die Nicht-Information des Kantons bezüglich des Corona-Ausbruchs im Jugendlager von Adonia in Parpan. Erst aus den Medien erfuhren sie am vergangenen Donnerstag vom Infektionsherd – obwohl der Kanton schon am Montag vor einer Woche im Bilde war.

«Was hätte es für einen Grund gegeben, die Gemeinde zu informieren?», fragt Rudolf Leuthold, Leiter des kantonalen Gesundheitsamts, rhetorisch. Die Kinder seien ja zum Zeitpunkt, als bei ihnen Covid-19 diagnostiziert wurde, gar nicht mehr im Lager gewesen. Dieses war am Samstag, 18. Juli, zu Ende gegangen. «Selbstverständlich hätten wir die Gemeinde informiert, wenn die Kinder noch vor Ort gewesen wären.»

Auf dem Spielplatz und im Laden

Anders sieht das Reto Bernhard, der seit 40 Jahren in Malix wohnt. Seine Tochter lebt in Parpan und hat ein vier Monate altes Baby. Er ist empört über die Nicht-Information gegenüber der Gemeinde. «Die Kinder des Lagers bewegten sich auf dem Parpaner Spielplatz und gingen im Dorfladen einkaufen», so Bernhard. Er ist besorgt über mögliche Ansteckungen im Ort und in der Umgebung.

Amtsleiter Leuthold entgegnet: Die Abklärungen des Kantons ergaben, dass eine mögliche Ansteckung bei der Parpaner Bevölkerung unwahrscheinlich war. Sprich: Die kranken Kinder und Betreuer hätten sich zu keinem Zeitpunkt länger als 15 Minuten mit weniger als 1,5-Meter-Abstand innerhalb der ortsansässigen Bevölkerung bewegt. «Hätten wir die Gemeinde frühzeitig informiert, wäre der Ausbruch schnell publik geworden», sagt Leuthold. «Das hätte nur unnötige Verunsicherung verursachen können.»

Gemeinde sei nicht betroffen

Nun griffen aber letzten Donnerstag mehrere News-Portale das Thema auf, und schon bald wurde bekannt: Das betroffene Jugendlager war in Parpan – obwohl der Kanton nur von einem «Musiklager im Raum Chur» sprach. Das führte dazu, dass Gemeindepräsidentin Margrith Raschein, die Bevölkerung und der Churwaldner Arzt Karl Mannhart vom Vorfall aus den Medien erfuhren – und nicht vom Kanton.

Dass sich die verschiedenen Personen in der Gemeinde Churwalden vor den Kopf gestossen fühlen, versteht Amtsleiter Leuthold zwar. Aber er erklärt: «Unsere Informationspolitik besagt: Wir informieren nur diejenigen, die betroffen sind.» Und die Gemeinde Churwalden ist gemäss Leuthold nicht betroffen. Denn: «Was hat diese Information für einen Wert für die Gemeinde?», fragt Leuthold. Gleiches gelte für den lokalen Arzt, weil die Diagnosestellung der Covid-19-Erkrankung bei den Teilnehmenden des Lagers erst zu Hause erfolgte. Dem Kanton geht es primär darum, den Ausbruch zu bekämpfen, alles andere ist sekundär, wie Leuthold ausführt.

Ausserdem sieht Leuthold keine Probleme in den personellen Ressourcen beim Gesundheitsamt. «Wir haben die Situation so weit möglich im Griff», sagt er. Dies, obwohl sich derzeit sowohl Departementsvorsteher Peter Peyer, Kantonsärztin Marina Jamnicki und Martin Bühler, Leiter des Führungsstabs, in den Ferien befinden.

Während Churwalden nicht informiert wurde, stand das Gesundheitsamt mit den Gemeinden Davos und Obersaxen im Kontakt. Weil da Abschlusskonzerte des Jugendlagers von Adonia stattfanden. In Davos wurde für 42 Konzertbesucher Quarantäne verordnet, wie Leuthold bestätigt. «Hätte es in Churwalden ein Konzert gegeben, hätten wir auch da die Gemeinde informiert.»

Schon 47 bestätigte Corona-Fälle

Nicht viel Verständnis für diese Argumente zeigt Leserbriefschreiber Bernhard. Denn, wie andere Fälle gezeigt hätten, könne sich das Coronavirus auf die unterschiedlichsten Arten verbreiten, meint er. Bernhard sieht beim Amt für Gesundheit ein Kommunikationsproblem. Er kann nicht verstehen, dass der Kanton die Gemeinde, in der das Lager stattfand, nicht informierte. «Ich glaube nicht, dass es ein Problem der personellen Ressourcen beim Gesundheitsamt ist», sagt er. «Die zuständigen Führungspersonen sind schlicht nicht fähig.»

«Rein epidemiologisch und fachlich ist alles korrekt abgelaufen», ist hingegen Leuthold überzeugt. Einzig aus politischen Gründen hätte es vielleicht Argumente gegeben, die Gemeinde zu informieren. «Wir werden die Kommunikation intern besprechen», verspricht er.

Inzwischen sind bereits 47 bestätigte Corona-Fälle und rund 200 Quarantäne-Fälle im Zusammenhang mit dem Jugendlager in Parpan bekannt. «Es könnten aber noch einige mehr dazukommen», so Leuthold. Das Contact Tracing laufe weiter beim kantonalen Gesundheitsamt. Es sind 31 Teilnehmende, die sich mit dem Coronavirus ansteckten und 16 Angehörige. Letztgenannte wurden infiziert, als die Kinder noch unwissend aus dem Lager nach Hause zurückkehrten. Insgesamt sind in Graubünden derzeit 58 Personen infiziert, wie Leuthold weiter ausführt.

Coronafall bei Ferienpass in Domat/Ems

Am Samstag wurde ein weiterer Coronafall in einem Bündner Ferienlager bekannt. Ein Kind, das am Ferienpass Domat/Ems teilnahm, sei positiv auf das Virus getestet worden. Laut Annina Jörg vom Ferienpass Domat/Ems befinden sich derzeit 40 Personen in Quarantäne. «Alle teilnehmenden Kinder sind in Quarantäne. Teilweise auch die Begleitpersonen, da man nicht sicher wusste, wer mit dem betroffenen Kind Kontakt gehabt hat», so Jörg weiter.

Alle weiteren Aktivitäten des Ferienpass Domat/Ems wurden abgesagt. Eine Weisung des Gesundheitsamtes habe es dabei nicht gegeben, man habe intern abgewägt. «Die Sicherheit und Gesundheit aller Teilnehmenden hat für uns immer die höchste Priorität», sagte Jörg. Die Reaktionen der Eltern zum Entscheid waren «durchweg positiv». Auch habe es zum heutigen Stand keine weiteren Ansteckungen mit dem Virus gegeben, betonte Jörg gestern gegenüber Radio Südostschweiz. (reb)

Andri Nay hat Wirtschaftsgeschichte und Politikwissenschaften studiert. Er schreibt seit 2017 für das «Bündner Tagblatt» und die «Südostschweiz». Mehr Infos

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.

Was das Gesundheitsamt macht, ist nicht in Ordnung. Die schieben das immer auf andere. Auch beim Betreibungsamt Albula sind aller massivste Hygienemängel. Anstatt zu Handeln, kommt eine Mail vom Kantonsgericht, das mach sich bei Kantonsgericht über das Betreibungsamt Albula beschweren soll, weil das Kantonsgericht über dem Betreibungsamt steht.
Das Gesundheitsamt Graubünden hat nichts im Griff. Ich möchte nicht wissen, wieviel sich auch bei Behörden anstecken und nichts getan wird.

Herr Leuthold, die Gemeinde und der Arzt regen sich nicht grundlos über Ihre Kommunikation auf. Nach Monaten mit COVID19 haben Sie immer noch nicht verstanden, dass das Virus bereits zwei Tage, bevor man krank wird, ausgeschieden werden kann. Insofern regt sich ganz und gar niemand in Churwalden und Umgebung ohne Grund auf. Das die Kommunikation eine Baustelle zu sein scheint zeigt auch die Aussage; «Wir haben die Situation so weit möglich im Griff». Hat nicht jeder abstürzende Pilot die Situation auch soweit möglich im Griff? Ist halt immer die Frage was beim nächsten Bodenkontakt für ein Resultat herauskommt.

Selbst wenn man bereits zwei Tage bevor man Symptome aufweist, das Virus ausscheiden kann, benötigt man mehr als 15 Minuten mit weniger als 1.5 Meter Abstand um sich anzustecken. Ich hoff schwer dass auch in Parpan diese Massnahmen eingehalten werden oder, sofern nicht möglich, eine Maske getragen wird!

und der nächste Faux-pas des Kantons. Aber Schlimmer als das vorenthalten der Information an die Gemeinde ist die arrogante Haltung danach.
Lieber Kanton: natürlich MUSS die Gemeinde informiert werden. Und sei es nur rein "informativ". Dass man so etwas aus den Medien liest GEHT GAR NICHT!

Mehr Kommentare anzeigen
Mehr zu Politik MEHR