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Zarte Renaissance der Männer im Dreck

Johannes
Kaufmann
06.02.20 - 04:30 Uhr

Im Blog «Anpfiff» berichten Journalistinnen und Journalisten jede zweite Woche aus der Südostschweiz-Sportredaktion.

Johannes Kaufmann* über die erste Radquer-WM in der Schweiz seit 25 Jahren.

Der vergangene Sonntag bescherte dem Schweizer Sportkonsumenten eine Reise zurück in die gute, alte Zeit. Und die beachtliche Zuschauerresonanz bei den Radquer-Weltmeisterschaften in Dübendorf – insgesamt waren 22'000 Quer-Supporter vor Ort – bewies, dass es nach wie vor eine intakte, bloss marginal geschrumpfte Fanbasis für den in den vergangenen Jahren aus dem Fokus einer breiten Öffentlichkeit entschwundenen Schweizer Traditionssport gibt. Schliesslich verschloss sich auch der Wettergott der Nostalgie nicht. Es herrschten die erwünschten, garstigen Bedingungen. Dies lieferte die TV-Bilder der sich episch abmühenden, von Schlamm bedeckten Sportler. Fast schon ein kitschiges Ambiente auf dem mit Geschick angelegten, im Vorfeld zu Unrecht als zu wenig selektiv eingestuften Parcours auf dem Flughafengelände.

Radquer heisst heute Cyclocross. Trotz der Konkurrenz durch das Mountainbike verteidigt die Sportart ihren Nischenplatz im üppigen internationalen Sportprogramm. Vor allem im Kernland Belgien, aber auch in den Niederlanden ist der Quersport weiterhin ausgesprochen populär. In der Schweiz wird Radquer vorab mit den Helden der Vergangenheit assoziiert. Sogleich fällt der Name des fünffachen Weltmeisters Albert Zweifel, Champion der Siebziger- und Achtzigerjahre. Einen wie ihn gab es nie mehr. Zweifels Erfolge wurde rund um die ersten Weltmeisterschaften in der Schweiz seit 25 Jahren im TV und in zahlreichen Gazetten gehuldigt.
Radquer-Weltmeisterschaften waren einst auch dick unterstrichen in meinem TV-Sportprogramm, ein Höhepunkt wie die Abfahrt in Kitzbühel und der Pavé-Ritt von Paris nach Roubaix. Wobei der erste Kontakt mit der Überfigur Zweifel alles andere als verheissungsvoll ausfiel. 1980 war für den grossen Favoriten vor der Haustüre in Wetzikon der schlammige Teppich ausgerollt für den fünften WM-Titel in Serie. Es folgte die mit Abstand bitterste Stunde in der Laufbahn des «dreckigen Albert». Ein Kälteeinbruch spielte nicht dem begnadeten Läufer, sondern dem jungen Steuerkünstler Roland Liboton in die Karten. Sechs weitere Jahre musste Zweifel auf seine fünfte WM-Krone warten. Er fuhr oder besser gesagt lief sie in der legendären Schlammschlacht im belgischen Lembeek ein. Eine unvergessene Sternstunde. Auch der aufstrebende Saisondomintator Pascal Richard konnte ihm bei der entscheidenden Attacke im Morast nicht folgen. Favorit Liboton hatte längst entnervt aufgegeben.

Tempi passati. Der nächste Albert Zweifel ist nicht in Sicht. Immerhin bleiben die intensivierten Anstrengungen des Schweizer Verbandes nicht ohne Ertrag. Kevin Kuhns Silbermedaille in der U23-Kategorie ist ein Silberstreifen am Horizont. Doch reicht dies für die Schweizer Renaissance der Männer im Dreck? Der strahlende alte und neue Weltmeister Mathieu van der Poel pflegt derweil die Grenzen zu verschieben. Quer, Strasse oder Mountainbike, das Rad-Multitalent, ironischerweise Sohn respektive Enkel der «ewigen Zweiten» Adrie van der Poel respektive Raymond Poulidor, siegt auf jedem Terrain bei jedem Wetter. Er hebt alleine mit seiner Präsenz den Stellenwert des Quersports. Das grosse Saisonziel ist Olympiagold im Mountainbike in Tokio. Dasselbe Ziel verfolgt Nino Schurter. Er adelt seinen Konkurrenten als besten Radrennfahrer der Gegenwart. Es ist angerichtet zum epischen Duell. Eine Schlammschlacht ist eher nicht zu erwarten.

Johannes Kaufmann ist Sportredaktor 

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Das waren noch Zeiten ,als Albert Zweifel den Quersport betrieb.Wie im Märchen es war einmal.Momentan wird der Quersport nur von Holländer und Belgier dominiert.Ausnahme an dieser WM in Dübendorf ,der zweite Rang eines Engländers .Der Quersport musste dem Mountain Bike Sport zum Opfer fallen in der CH.