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St. Moritz ist eben keine AG

Hans Peter
Danuser
05.11.19 - 04:30 Uhr
Wo heute das Schulhaus Grevas steht, soll alles neu werden.
Wo heute das Schulhaus Grevas steht, soll alles neu werden.
PRESSEBILD

Hans Peter Danuser und Amelie-Claire von Platen sind im Engadin zu Hause und zeigen uns ihren Blickwinkel. Was bewegt Land und Leute? Wo ist das Engadin stark und wo hinkt es einzelnen Mitbewerbern hinterher? Und was geschieht auf politischer Bühne? Der Blog «Engadin direkt» berichtet persönlich und authentisch.

St. Moritz ist ein Dorf mit 5000 Einwohnern. Zusammen mit seinen elf Nachbargemeinden leben etwa 17'000 Einwohner im Oberengadin. Das entspricht im Unterland einem kleineren Städtchen mit eigener Schule, Hallenband, Kirche und was bei dieser Grösse noch so dazugehört.

Da St. Moritz und das Oberengadin Tourismus betreiben, erhöht sich die Einwohnerzahl während der Hochsaison auf 20'000 bzw. gut 100'000 Personen, was in der Schweiz einer kleineren Agglomeration oder einer Stadt wie Winterthur gleichkommt. Entsprechend gross und teuer ist die Infrastruktur dafür, auch wenn sie nur wenige Wochen im Jahr voll ausgelastet ist.

Der Gast erwartet auch dann, dass alles perfekt funktioniert und seine Ferien in keiner Weise beeinträchtig werden. Sonst kommt er nicht mehr.

Wenn die Basisstruktur des Tals auf die touristische Hochsaison mit 120'000 Personen ausgerichtet ist, heisst das nicht, dass Infrastrukturen und Dienstleistungen, die primär für die 17'000 permanenten Talbewohner da sind, auch grösser sein bzw. doppelt oder gar mehrfach betrieben werden sollen. Beispiel Spital, Alterszentren, Hallenbäder, Schulen, etc. St. Moritz etwa baute für 70 Millionen Franken ein Sport- und Erlebnisbad, das ähnliche Angebote führt wie jenes im benachbarten Pontresina. Analog die Pläne für ein Alterszentrum für 50 Millionen Franken, wenige Kilometer entfernt von jenem in Samedan.

Und bald auch das neue Schulhaus für gemunkelte 55 Millionen Franken am bisherigen Standort in schönster Hanglage zwischen Dorf und See. Dabei gibt es bereits mehrere Mittel- und Sekundarschulen im Tal. Und der Grossteil der Schüler und Lehrer wohnt heute in St. Moritz Bad. Eine gut geführte AG würde das örtliche Schulangebot mit dem bestehenden Angebot im Tal abstimmen und das «massgeschneiderte» Schulhaus dann dort bauen, wo die meisten Schüler heute leben: in St. Moritz Bad eben. Das reduziert den Verkehrsweg der Schüler und Lehrer, die Unfallgefahr, etc. Gleichzeitig wird eine touristisch perfekte Liegenschaft für ein neues Hotel frei – mit direkter Aussicht auf See und Berge. Und von exakt solchen Angeboten lebt St. Moritz. Gäste schauen aus dem Fenster, Schüler konzentrieren sich auf den Unterricht.

Viele Einheimische werden über solche Gedanken entsetzt sein – die Schule war doch schon immer dort – aber der Standort macht heute keinen Sinn mehr. Dass das Schulhaus trotzdem wieder dort gebaut wird, ist emotional bedingt, wenn rational auch falsch. Das ist Politik und eben «keine AG».

Problematisch sind die Kosten: Gewaltige Investitionssummen sowie jährliche Amortisationen und Betriebsdefizite, die dann für touristisch relevante Aufwendungen fehlen. Damit setzen St. Moritz und das Engadin ihre Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel. Schon heute besteht diesbezüglich dringend Handlungsbedarf: Die Talabfahrt nach St. Moritz Dorf hinunter ist desolat. Die Reithalle ist geschlossen. Eine Eishalle sollte regional gebaut werden. Das schöne Arena Engadin Projekt sollte vorangetrieben und das alles finanziert werden – bei stagnierendem Tourismusgeschäft (Hotel «Margna», Meierei, leere Ladenlokale, etc.).

PS: Dieses Jahr wurde in Colico zuoberst am Comersee das imposante neue Schulhaus in Betrieb genommen. Kapazität: 500 Primar- und Sekundarschüler, Colico hat 7500 Einwohner. Kosten des Gesamtkomplexes inkl. Abbruch, Zusatzland und Planung: 13 Millionen Euro. Ein Augenschein für die zuständige Baukommission von St. Moritz wäre sicher interessant. Colico liegt 76 km entfernt auf 240 m ü.M., die Autofahrt dauert 75 Minuten, etwas weniger als nach Chur. Natürlich kostet ein analoger Bau 1800 m ü.M. mehr, erst recht in der Schweiz und gar im Engadin. Aber muss es so viel mehr sein?

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Herr Danuser hat absolut Recht.
Es geht nicht darum, den Tourismus über alles in Sankt Moritz zu stellen - es geht darum, endlich eine Balance zu finden, was den Ort im Gesamten voranbringt.
Sankt Moritz ist eben primär ein Kur - und Wintersportort und dieses Erbe muss man pflegen, erst hierdurch kam Wohlstand in den Ort und die Region. Die Arbeitsplätze hängen ebenfalls hiervon ab.
Man hatte in der Vergangenheit wohl keine Strategie, teilweise muss man sich erschüttert fragen, wie manche Gebäude eine Baufreigabe erhalten konnten ( Au Reduit - welches wie ein Fremdkörper neben dem sensationell schönen Hanselmanns wirkt, die Palace Galerie - welche zum Glück ja nun abgerissen werden soll, dann der Betonriegel Residenza Rosatsch - welcher ebenfalls wie ein Fremdkörper wirkt , zudem diverse Plattenbauten in St. Moritz-Bad). Belanglose, bedeutungslose, brachiale Architektur, welche auf erhaltene Architekturschätze und neue Schätze (Norman Foster) treffen.
Man hatte ohne einen Nutzen für den Ort diverse Ferienwohnungen genehmigt und erstellen lassen, auch ohne einen Nutzen für die örtliche Bevölkerung, welche ebenfalls auf diverse Einrichtungen besteht (Schulhaus in bester Lage, Altenheim, etc.)
Man sollte einen Gesamtkonsens im Sinne von Sankt Moritz finden, was man schon viel früher hätte tun müssen. Wie würde der Ort wohl ohne diese Bausünden aussehen ? Wahrscheinlich weltweit konkurrenzlos. Zumindest das Badrutts Palace hat wohl verstanden, was der geplante Abriss und Neubau im klassischen Stil der Palace Galerie zeigt.
Man muss zudem die örtliche Bervölkerung einbinden, nicht nur mit Wünschen, sondern auch mit Notwendigkeiten und gegenseitigem Respekt, ein Geben und Nehmen im Sinne des Ortes.
Man muss nur zu den derzeitigen Top Destinationen schauen: Saint-Tropez, St. Barth, Gstaad, Courchevel, Aspen ... alle diese Ferienorte haben es geschafft, diese Balance zu finden. Man kann es St. Moritz nur wünschen, dass es seine Balance findet, solange die Fehler noch korrigierbar sind.
Wie hatten es Herr Jott-Jenny und Rolf Sachs im Interview mit der NZZ gesagt: "Man hat St. Moritz leider etwas verhunzt."

@HPD:
Beim aktuellen Tourisumbedarf benötigt es kein Hotel, eine Einstellhalle für die tollen Sommerbus-Tages-Touris, welche den schönen Weg beim See in reichlicher Anzahl zustopfen und bestenfalls etwas bei Läderach einkaufen, wäre da geeigneter.
Das Problem bei Euch (auch ehemaligen) Touristikern ist, dass es NUR den Tourismus gibt. Ein Angebot für Einheimische?? Nö, sind ja keine Touristen. Etwas für die Jugend oder Kinder?? Nö, sind ja keine Touristen. Das Schulhaus an einem schönen Ort?? Nö, ist ja nicht für Touristen.
Und wo dass das Schulhaus im Bad gebaut werden soll, wissen die Geie..., sorry, evtl. Herr Danuser. Er wohnt ja auch an Sonnenlage hoch am Berg und hat anscheinen keine Ahnung, dass es im Bad nicht wirklich Platz für ein genügend grosses Schulhaus hat, oder nein, es ist ja nicht für den Tourismus, also interessiert es niemanden. Oder will er uns mitteilen, dass wir nach Colico in die Schule gehen sollen??
Dass die Oberstufen bereits mit anderen Gemeinden zusammengelegt ist, weiss er auch nicht, natürlich nicht, ist ja nichts touristisches.
Dementsprechend sind 55 Mio. für ein zeitgerechtes Schulhaus, für einen nicht touristischen Bau ist natürlich unvorstellbar. Und ein Altersheim (für Einheimische) kann ja mal gar nicht gehen, ist ja ebenfalls nichts touristisches...

Das Denken ist leider das St. Moritzer Altlast-Vermächtnis von HPD: Für den Tourismus alles und widerstandlos umsetzen, auch wenn es nicht benötigt wird. Für die Einheimischen (und dementsprechend auch für den Mittelstand): Nö, auf keinen Fall, ist ja nichts touristisches.

Wir brauchen den Tourismus, keine Frage. Aber das Denken darf da nicht stehen bleiben. St. Moritz und das Oberengadin hat eben noch viele andere Facetten.

Gute Gedanken Herr Danuser. Jede Gemeinde kocht ihre eigene Suppe, mit mässigem Erfolg. Vielleicht würde eine Fusion der Oberengadiner Gemeinden eine Planung und Zusammenarbeit verbessern Aber das wird vermutlich noch Jahre wenn nicht Jahrzehnte dauern.

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