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Alles Vollidioten

17.10.18 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Kommentar
Onlinejournalisten sind oft Ziel von harscher Kritik.
Onlinejournalisten sind oft Ziel von harscher Kritik.
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Liebe Leserinnen und liebe Leser, wie würden Sie sich fühlen, wenn ich jetzt schreiben würde, dass Sie alle Vollidioten, unfassbar dämlich, inkompetent, parteiisch und unfähig sind? Ich bin überzeugt, dass es etwas in Ihnen auslösen würde. So geht es meinem Team und mir beinahe jede Woche. Als Leiterin Online erreichen mich des Öfteren Mails, Tweets, Facebook-Posts oder auch Online-Kommentare, welche massiv unter der Gürtellinie sind.

Ein Highlight durfte ich vor rund einem Jahr erleben. Damals hatten wir gerade unsere neue Website und App live geschaltet. Natürlich erwartete ich nicht nur Lobeshymnen. Kritik an einem neuen Produkt, welches ein altes Produkt ablöst, liegt einfach in der Natur der Sache. Als ich aber bereits um 6 Uhr morgens ein erstes Mail lesen durfte, in welchem die Macher der neuen App als Vollidioten und Unfähige beschrieben wurden, musste ich doch leer schlucken. Man investiert Minuten, Stunden, Tage und Wochen in ein solches Projekt – und alles, was man dazu lesen darf, ist die Bezeichnung «Vollidiot» und «unfähig». Wow, herzlichen Dank dafür! Lieber Verfasser dieses Mails: Auch wenn man es kaum glauben mag, aber wir lesen Ihre Zeilen tatsächlich, und für gewöhnlich antworten wir auch. Wir schätzen den Dialog mit jedem und freuen uns stets über Anregungen und Inputs. Wir sind bestimmt nicht perfekt und machen auch Fehler. Uns diese mit Karacho um die Ohren zu hauen, scheint mir aber dennoch verfehlt.

Mit Beleidigungen kommen mein Team und ich eigentlich sehr gut zurecht. Fürchterlich wird es erst bei Rassismus. Wer jetzt denkt, dass ich ganz tief in der Klischee-Kiste grabe, dem sei gesagt, dass wir erst vor einem Monat auf einen unschönen Kommentar zu einer unserer TV-Moderatorinnen reagieren mussten. Sie wurde doch tatsächlich auf Facebook wegen ihrer Hautfarbe angefeindet. Im Jahr 2018 eigentlich kaum zu glauben, und doch ist es geschehen. An dieser Stelle möchte ich unser Dialog-Team loben, welches in solchen Fällen stets die richtigen Worte findet.

Wir sind längst nicht das einzige Medium mit solchen Herausforderungen. Im Februar 2017 erklärte die NZZ, dass sie ihre Kommentarspalten umbaut. «Die Stimmung ist gehässiger geworden», schrieb der Social-Media-Redaktor der NZZ damals. Bei den meisten Artikeln wurde fortan die Kommentarfunktion geschlossen. Eigentlich tragisch. Oder? Andere Medienhäuser arbeiten mit einem Algorithmus und lassen problematische Kommentare rausfiltern. Auf Plattformen wie Facebook und Instagram ist dies aber nur bedingt möglich, und so werden Community-Manager vermehrt zu Wachhunden und müssen auf den Dialog, welchen sie so gerne mit der Community führen würden, verzichten. Eigentlich schade, oder?

Wer nun denkt, dass ich einen gewissen Groll auf Veränderungen oder eine Berichterstattung nicht verstehe, wer glaubt, dass ich mit Kritik und deutlichen Worten nicht umgehen kann, der irrt gewaltig. Auch ich nerve mich teils über Äusserungen, neue Produkte oder die Art und Weise, wie kommuniziert wird. Muss ich deswegen aber digitale Prügel verteilen? Muss ich die Intelligenz meines Gegenübers – und ja, dieses Gegenüber existiert auch im digitalen Raum – infrage stellen? Nein! Oder würden Sie mir solche Worte auch direkt ins Gesicht sagen? Dann heisse ich Sie gerne bei uns im Medienhaus willkommen und höre sie mir direkt an.

Nadia Kohler ist Leiterin Online von «suedostschweiz.ch».

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SO-Online-Leiterin Nadja Kohler, Sie titeln "Alles Vollidioten" und schreiben "wie würden Sie sich fühlen, wenn ich jetzt schreiben würde, dass Sie alle Vollidioten, unfassbar dämlich, inkompetent, parteiisch und unfähig sind?" "Muss ich die Intelligenz meines Gegenübers infrage stellen?"
Naja... ist nicht grundsätzlich alles möglich auf unserer armen Welt?
Jedenfalls sehe ich in Ihrem Glashaustext (trotz vieler Worte) keine Logik. Was solls? Und die Einladung zu Ihnen in Ihr Somediahaus "Oder würden Sie mir solche Worte auch direkt ins Gesicht sagen? Dann heisse ich Sie gerne bei uns im Medienhaus willkommen und höre sie mir direkt an." finde ich erst recht sinnlos. Denn eine Lebensgrundregel besagt: "Beschwere dich nicht beim Ausübenden (der es in der Regel sehr wohl längst weiss), sondern bei Dritten." Es mag Ausnahmen geben - aber besagt nicht das Sprichwort, dass sie die Regel bestätigen? Ich musste einiges Lehrgeld zahlen, bis ich das intus hatte.

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