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Ein Skandal zwischen Dichtung und Wahrheit

Im Bündner Bauskandal sind die Fronten verhärtet. Das liegt mit daran, dass vermischt wird, was nicht zusammengehört. Die harten Fakten sind längst vergessen.

Olivier
Berger
06.06.18 - 04:30 Uhr
Ereignisse
Der lange Schatten des Baukartells: Wenig ist bewiesen, viel wird hineininterpretiert.
Der lange Schatten des Baukartells: Wenig ist bewiesen, viel wird hineininterpretiert.
GIAN EHRENZELLER / KEYSTONE

Kaum je zuvor hat ein Thema einen Bündner Wahlkampf so dominiert wie der Baukartell-Skandal. In den 43 Ausgaben der «Südostschweiz» seit der ersten Berichterstattung über die Serie des Onlinemagazins «Republik» (Ausgabe vom 26. April) sind mehr als 60 Artikel zum Skandal und seinen Auswirkungen auf die Wahlen erschienen.

Die Meinungen sind inzwischen gemacht, und wer sich in den Sozialen Medien umsieht, merkt rasch: Fakten spielen längst keine Rolle mehr. Der Umgang mit Baukartell und Informant ist zur reinen Glaubensfrage geworden. Das hat auch damit zu tun, dass es drei Handlungsstränge gibt, die kaum etwas miteinander zu tun haben, aber vermischt werden.

Die nackten Fakten

Bewiesen ist von all dem, was derzeit munter kolportiert wird, nur wenig. Klar ist aber: In den Jahren 1997 bis 2012 gab es im Unterengadin Absprachen bei rund 400 Bauprojekten im Gegenwert von über 100 Millionen Franken. Das hat die Wettbewerbskommission (Weko) nach sechs Jahren Ermittlungen herausgefunden und die entsprechenden Firmen gebüsst.

Bekannt ist auch, dass sowohl der heutige Regierungsrat Jon Domenic Parolini – damals noch als Gemeindepräsident von Scuol – wie auch das kantonale Tiefbauamt bereits im Jahr 2009 auf die Absprachen hingewiesen worden waren. Unklar ist aber nach wie vor, wie die Treffen mit dem Informanten Adam Quadroni abgelaufen sind, der das Kartell im Jahr 2012 hat auffliegen lassen. Und es ist bis heute nicht bewiesen, dass öffentlichen und privaten Bauherrschaften durch die Absprachen überhaupt ein Schaden entstanden ist.

Bewiesen ist von all dem, was derzeit munter kolportiert wird, nur wenig.

Klar ist dagegen, dass am 15. Juni 2017 ein Polizeieinsatz gegen Informant Quadroni stattgefunden hat. Darüber, wie dieser Einsatz verlaufen ist, gibt es offenbar unterschiedliche Darstellungen. Nach seiner Festsetzung verbrachte Quadroni drei Tage in der Psychiatrie.

Weiter unbestritten ist, dass der Informant, der selber jahrelang Teil des Baukartells war, Schulden in Millionenhöhe hat. Sowohl seine Firma wie er als Privatperson haben Konkurs angemeldet. Bestätigt ist auch, dass gegen Quadroni zwei Strafanzeigen vorliegen – je eine wegen Betrugs und betrügerischen Konkurses. Beide Verfahren sind noch im Gang.

These 1: Der Arm des Kartells

Durch das Vermischen der drei an sich unabhängigen Faktenstränge ist in den ersten Tagen und Wochen des Baukartell-Skandals jene Geschichte entstanden, an die bis heute ein Teil der Öffentlichkeit glaubt. Vereinfacht gesagt hatte Quadroni die Absprachen auffliegen lassen und wurde dafür vom Baukartell abgestraft sowie finanziell und persönlich ruiniert.

Auch der Polizeieinsatz wurde in der öffentlichen Wahrnehmung jetzt plötzlich zur Retourkutsche für die Meldung an die Weko. Ei- ne Spendenaktion für Quadroni brachte in Rekordzeit über eine Viertelmillion Franken ein. Die Schulden des Ex-Unternehmers wurden als Folge seines Ausstiegs aus dem Baukartell interpretiert.

Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, als dass weder die «Republik» noch vor ihr die «Südostschweiz» – in mehreren, über sechs Jahre verteilten Artikeln – jemals einen direkten Zusammenhang zwischen Kartell und Polizeieinsatz hergestellt hatten. Beide hatten immer wieder betont, die Festnahme des Informanten gehe auf familiäre Probleme zurück.

Eigentlich gibt es nur wenige Fragen, die im Zusammenhang mit dem ganzen Skandal umstritten sind.

Das änderte nichts daran, dass die Meinungen gemacht waren. Als der «Blick» beispielsweise vermeldete, ein Autohändler habe Anzeige gegen Informant Quadroni erstattet, war der Grundtenor in den Kommentarspalten im Internet klar: Der lange Arm des Unter-engadiner Baukartells reicht bis nach Zürich. Wer die Rolle von Quadroni hinterfragt, wird in den Sozialen Medien als «Armleuchter» und «mieser Schreiberling» bezeichnet.

These 2: Der Einfluss der SP

Parallel zur Theorie vom Baukartell, dessen Einfluss bis ins oberste Polizeikommando und in die Churer Gerichtsstuben reichen soll, macht mittlerweile eine zweite Geschichte die Runde. Hinter der ganzen Enthüllung des Baukartell-Skandals stehe die SP Graubünden. Das Ziel sei es von Anfang an gewesen, die Kandidaten der anderen Parteien in ein schlechtes Licht zu rücken und dadurch die eigenen Wahlchancen massiv zu erhöhen.

Als Beweis für diese These wird unter anderem angeführt, dass eine der Autorinnen der «Republik»-Serie während kurzer Zeit Mitglied des Vorstands der SP Graubünden und mit einem SP-Grossrat liiert gewesen sei. Zudem habe die SP dafür gesorgt, dass sowohl der Bericht der Weko wie auch die Artikel in der «Republik» just vor den Wahlen erschienen.

Dass die «Republik» ihre vierteilige Serie rund um Bauskandal und Informant gut einen Monat vor den Wahlen publiziert hat, dürfte tatsächlich kein Zufall gewesen sein. Allerdings ist die Wahl des Zeitpunkts schon jour-nalistisch sinnvoll: Eine Skandal- geschichte interessiert mit involvierten Regierungsratskandidaten schlicht mehr als ohne.

Interessant an der Theorie von der SP-Verschwörung ist, dass ausgerechnet der Kandidat jener Partei, welche sie derzeit mit am aktivsten verbreitet, in den Artikeln der «Republik» mit keinem Wort erwähnt wird. In den ersten Reaktionen auf den Skandal war Polizeikommandant Walter Schlegel gar noch als der grosse Gewinner der Affäre genannt worden. Erst später erfolgte die Kehrtwende.

Die offenen Fragen

Eigentlich sind es wenige Fragen, die im Zusammenhang mit dem ganzen Skandal umstritten sind. Eine davon lautet: War der – inzwischen als Regierungsratskandidat zurückgetretene – Baumeisterpräsident Andreas Felix bei den Absprachen dabei? Und: Wollten Regierungsrat Parolini und das Tiefbauamt die Unterlagen des Informanten nicht entgegennehmen oder waren diese schlicht zu alt? Wurde Quadroni wegen seines Gangs zur Weko ruiniert, oder wurde er aus dem Kartell ausgeschlossen, weil er Sozialabgaben nicht bezahlt hatte? War der Polizeieinsatz gerechtfertigt oder übertrieben?

Auf die Antworten darf man gespannt sein.

Olivier Berger wuchs in Fribourg, dem Zürcher Oberland und Liechtenstein auf. Seit rund 30 Jahren arbeitet er für die Medien in der Region, aktuell als stellvertretender Chefredaktor Online/Zeitung. Daneben moderiert er mehrmals jährlich die TV-Sendung «Südostschweiz Standpunkte». Mehr Infos

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Nehmen wir mal an, es wäre so wie in dieser wilden Verschwörungstheorie vermutet: Ein ehemaliger Richter hätte den Whistleblower dazu ermuntert endlich auszupacken und einen Studenten vorgeschickt, um Geld zu sammeln. Würde das das illegale Kartell entschuldigen? Nein! Würde das das aktive Wegschauen der Politiker oder gar deren vermutete Gehilfenschaft weniger schlimm machen? Wäre die gewaltsame Verhaftung und Psychiatrisierung eines Verdächtigen rechtmässig, nur weil dieser Schulden hat? Ich meine nein, da bleibt der Polizeichef verantwortlich. Es geht darum was vorgefallen ist, und nicht wer hinter der Aufdeckung steckt.

Die "These 2" ist purer Neid der bürgerlichen Parteien und Angst um die (Wieder-)Wahl ihrer Kandidaten. Die SP versuchte schon seit Jahren, lange bevor irgend ein Republik-Artikel geschrieben oder Kandidat nominiert war, z.B. durch Vorstösse im Grossen Rat, den Kanton dazu zu bringen, beim Baugewerbe genauer hinzuschauen. Die bürgerliche Mehrheit blockte immer ab.
Es war weder Absicht, noch kann die SP etwas dafür, dass journalistische Recherchen Verbindungen des Kartellskandals zu fast allen bürgerlichen Kandidaten hergestellt haben. Dass diese nun versuchen, der SP und Peter Peyer, der nun wirklich nichts mit dem Skandal zu tun hat, ebenfalls noch Dreck anzuhängen, ist schon ziemlich traurig, wenn auch in der Hitze des Wahlkampfendspurtes nicht wahnsinnig verwunderlich.
Der einzige "Einfluss", den die SP schon immer versuchte zu nehmen, und dies auch weiterhin tun wird, ist, Machenschaften, wie jene des Baukartells, zu unterbinden, denn es geht um unser aller Steuergelder. Wer das auch möchte, wählt nun Peter Peyer in die Regierung und die SP-Kandidierenden in den Grossen Rat.

"Dass die «Republik» ihre vierteilige Serie rund um Bauskandal und Informant gut einen Monat vor den Wahlen publiziert hat, dürfte tatsächlich kein Zufall gewesen sein." Tatsächlich ist dies kein Zufall. Nur sind die Zusammenhänge etwas weniger skandal- und verschwörungsträchtig als gewissenorts dargestellt. Ich wurde von Adam Quadroni im Spätherbst 2017 über dessen Verhaftung informiert, fing nebenher die Recherche an, veröffentlichte in der "Südostschweiz" im Januar 2018 die erste Geschichte (Verhaftung). Weitere Teile waren angedacht. Ende Februar wurde ich freigestellt. Einen Monat später fing ich bei der Republik an, fünf Wochen später kam die Geschichte raus. Wenn die SP also hinter dem Skandal stehen solle, hätte sie a) meine Entlassung in die Wege leiten b) das Timing der Verhaftung Quadronis bestimmen oder c) das ganze Kartell über Jahrzehnte inszenieren müssen, um es nun (#tadaaaaaaa!) auffliegen zu lassen. Also hätten je nach Szenario a) die Somedia b) die Kantonspolizei oder c) gar die ganze Bauszene mit der SP kollaborieren müssen. Ich zieh jetzt mal lieber den Aluhut an.

Danke Herr Durband, dass Sie auch nach der Freistellung dran geblieben sind. Es ist wirklich bedenklich, wie offensichtlich die Südostschweiz nun eine Kampagne gegen den Whistleblower führt, und kaum noch dem eigentlichen Skandal nachgeht. Aber es verwundert nicht, so meinte Lebrument doch "Eine saubere Trennung zwischen dem Werbemarkt und dem redaktionellen Teil einer Zeitung sei viel schwieriger geworden als vor zwanzig Jahren, als es die finanzielle Lage erlaubt habe, die redaktionelle Unabhängigkeit über alles zu stellen." https://www.schweizamwochenende.ch/medien/trotz-krise-journalisten-lass…

Die Frage ist eigentlich nicht, wer den Skandal aufgedeckt hat und mit wessen Hilfe. Es ist auch nicht relevant mit welchem Motiv der Whistleblower das Kartell angezeigt hat. Wichtig ist, ob was dran ist (die WEKO bestätigt das), wer die Täter sind, und ob diese von der Politik gedeckt wurden. Und, dass bei den Enthüllungen ein Politiker, der gar nicht in den Skandal involviert ist, auch nicht erwähnt wird, ist doch logisch.

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