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«Wenn ich gross bin, werde ich …»

Sie sind das echte «Facebook» aus den Neunzigerjahren: die Freundschaftsbücher.

Nicole
Nett
09.03.22 - 17:21 Uhr
Hoch leben die Freundschaftsbücher: In ihnen sind Steckbriefe über die Klassenkameraden zu finden. Je mehr Einträge, desto spannender.
Hoch leben die Freundschaftsbücher: In ihnen sind Steckbriefe über die Klassenkameraden zu finden. Je mehr Einträge, desto spannender.
Bild Lisa Nett

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Kürzlich machte ich einen Besuch bei meinem 6-jährigen Gottameitali. Sie fragte mich, ob ich in ihr nagelneues Freundschaftsbuch schreiben könnte. Somit war ich die Erste, die einschreiben durfte, was natürlich eine grosse Ehre für mich war. Stolz schnappte ich mir einen Kugelschreiber. Und schon wieder kamen nostalgische Gedanken in mir hoch. 

Ganz ehrlich: Ich wusste nicht, dass es diese Freundschaftsbücher in Zeiten von Facebook und Co. immer noch gibt. Und auch für die Kinder: Ich dachte, da gibt es bestimmt etwas Moderneres oder Interaktiveres. Aber nein, es gibt die herzigen Büchlein noch. Und das freut mich. Als ich im Alter von meinem Gottameitali war, besass ich ebenfalls ein solches Freundschaftsbuch. Natürlich von der Diddl-Maus und etwas kitschig. Auch meine Freunde hatten solche Bücher, in allen Varianten und Farben. Sie gingen eine Zeit lang mehr im Klassenzimmer umher, als die «Spickzetteli» oder «Tintenkügeli». Man gab sich jeweils grosse Mühe beim Schreiben, um nicht mit einem peinlichen Eintrag das ganze «Facebook der Neunziger» zu vermasseln. Die interessantesten Bücher waren die mit den meisten Einträgen.

Ein paar Fragen und Kriterien von früher waren für mich damals weit von der Realität entfernt. So durfte man träumen und Wünsche für die Zukunft festhalten. Im Büchlein von meinem Gottameitali musste ich schmunzeln bei: «Wenn ich gross bin, werde ich …». Meine Güte! Bin ich alt geworden. Ich habe meine Berufung als Multimediaproduzentin bereits gefunden, auch wenn ich das als kleines Mädchen niemals gedacht hätte. Damals wollte ich noch Tierärztin, Hürdenläuferin oder einfach mal eine Chefin werden. Und schon gar nicht eine Bürolistin. Und was für eine Lehre habe ich schlussendlich absolviert? Kauffrau. Ich bin eine Bürolistin geworden – wie aus dem Bilderbuch.

Heute bin ich froh, nicht mehr in der Haut von damals zu stecken, auch wenn es unbeschwerte und schöne Zeiten waren. Diese möchte ich überhaupt nicht missen. Aber dennoch: Bei vielen Dingen bin ich zufrieden, dass ich sie abhaken kann. Das wäre zum Beispiel die Lehre, die Autoprüfung oder auch das Studium. Der Wunsch der Hürdenläuferin hat sich nach über 20 Jahren erfüllt – auch wenn nur im übertragenen Sinne. Das Leben ist eben kein Ponyhof, sondern eher ein Hürdenlauf – und das ist bis heute so. Und für jede und jeden. Von Jung bis Alt. Das ist die Realität.

Aber zurück zu den Freundschaftbüchern: Wie würde wohl so ein Freundschaftsbuch für Erwachsene heutzutage aussehen? Sicherlich müsste man ein Bild auswählen, welches viele Likes auf Instagram erzielt hat. Ach, man könnte auch gleich die Benutzernamen von Instagram, Facebook oder LinkedIn angeben, dann hat man doch bereits alle Eckdaten zur Person, oder? Nicht fehlen dürfte auch das beliebteste Meme. Das sagt viel über eine Person aus. Oder der Lieblingshashtag, sehr relevant. Natürlich wäre alles auch über einen QR-Code abrufbar. Ihr seht, die Zeiten haben sich geändert und technologisch enorm weiterentwickelt. Unsere Daten sind längstens überall im Netz zu finden. Die Zeiten sind oberflächlicher geworden. Vielleicht bin ich auch einfach zu alt für diesen Kram, auch wenn ich eine technikaffine Person bin. Dennoch habe ich heute noch gerne ein Buch in den Fingern. Und ich bin dankbar, dass das auch bei den Jüngsten noch so ist. 

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