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Lehren, Lernen und Leben in Shanghai

Fachhochschule
Graubünden
14.11.17 - 04:30 Uhr

An der Fachhochschule Graubünden wird ausgebildet und geforscht. Über 2000 Studierende besuchen Bachelor-, Master- und Weiterbildungsstudiengänge. In diesem Blog geben Studierende, Dozierende und Mitarbeitende Einblicke in den Hochschulalltag und in Themen, welche sie gerade beschäftigen.

Im September 2013 unterzeichneten die HTW Chur und die Shanghai University of Engineering Science SUES den Vertrag, künftig ein gemeinsames Joint Programm «International business – tourism and business management» zu führen. Ziel dieser Ausbildung ist es, dass die besten Studierenden aus Shanghai nach einer dreijährigen Tourismusausbildung auf Ebene Höhere Fachschule ins letzte Studienjahr des Bachelorstudiums Tourismus eintreten und den Bachelorabschluss in Chur erwerben können. Nach der Vertragsunterzeichnung folgten intensive Vorbereitungsarbeiten – Erarbeitung des Curriculums, Rekrutierung von Dozierenden, Einrichtung der Schulräume in Shanghai, Definition von Prozessen und Unterzeichnung von unzähligen Formularen u.v.m. Im September 2015 begannen die ersten 32 Studierenden in Shanghai die Ausbildung und im Januar 2017 entsandte die HTW Chur erstmals Dozierende nach China. Nach der Diplomfeier im Juni 2018 in Shanghai erwartet die HTW Chur ab September 2018 chinesische Studierenden von der SUES.

Text und Bilder: Barbara Haller Rupf

Im Rahmen des Joint-Programms findet auch ein regelmässiger Austausch zwischen den Dozierenden statt. Bereits zweimal kam eine chinesische Delegation nach Chur, um die hiesige Unterrichtspraxis kennen zu lernen, im Gegenzug und um das Programm gemeinsam weiter zu entwickeln, wurde ich eingeladen, als «Distinguished Overseas Professor» einen Monat an der SUES zu lehren. Am 23. Oktober wurde ich vom Leiter der Management School Professor Hu und seinem Team auf der Dachterrasse der Schule bei Getränken und Snacks herzlich empfangen. Seither besteht meine Arbeit in Unterrichten, Präsentationen vorbereiten und die noch offenen Fragen bezüglich Joint-Programm mit den hiesigen Verantwortlichen zu bearbeiten. Neben der Wissensvermittlung in den Klassen ist das Hauptziel meines Aufenthalts, auch den Dozierenden Wissen bezüglich Tourismus und Schweizerischer Unterrichtsmethodik zu vermitteln und gemeinsam Kompetenzen aufzubauen.

«Introduction to tourism» ist die Einführungsvorlesung für die Zweitjahrstudierenden. Um das theoretische Basiswissen auf den Erfahrungen der Studierenden aufzubauen, begann ich den Unterricht mit einer Sequenz zum Tourismus in China. Dabei staunte ich sehr und war positiv überrascht, als mir zwei Studierende als Vorbereitungsauftrag das nebenstehende Bild der Karstlandschaft von Guiling einreichten. Chinesische Kultur «zum Anfassen».   

Obwohl auch die SUES-Kolleginnen und Kollegen den Dialog im Unterricht fördern, fällt es den Studierenden spürbar schwer, mich als Dozierende mit Fragen oder Kommentaren direkt anzusprechen. Umso erfreulicher sind die sichtbaren Fortschritte innerhalb einer Woche und das Engagement in den Gruppenarbeiten. Unterstützend und vermittelnd wirkt das Assistent-Teacher-System: die HTW- Dozierenden werden je durch ein Mitglied der SUES-Fakultät begleitet, und Kernaussagen können so wenn nötig auf Chinesisch weitergegeben werden.

Gleichzeitig gilt meinerseits zu akzeptieren, dass das Bildungssystem hier (noch) sehr auf den Aufbau von theoretischem Wissen basiert und die Praxis später im Beruf erlernt wird. Eine Annäherung an unsere duale Ausbildung, welche an der Fachhochschule eine Berufslehre respektive Praxiserfahrung erfordert, wird in China nur über Jahre hinweg zu erreichen sein. « … denn dazu fehlen hier schlicht die Strukturen auch in den Betrieben», meint Erwin Lüthi vom schweizerischen Generalkonsulat in Shanghai.

Umso wichtiger ist es für die Ausbildung in Shanghai, aber auch um die Studierenden an die Situation im Bachelorjahr heranzuführen, dass der Unterricht praxisnahe gehalten wird, und auf dem Wissen und den Erfahrungen der Studierenden aufbaut. Allerdings war deren grosse Mehrheit noch nie im Ausland und die Reiseerfahrung beschränkt sich meistens auf Familienreisen über das chinesische Neujahr in die Herkunftsprovinz, Tagesausflüge und virtuelle Reiseerlebnisse im Internet. Eine weitere Schwierigkeit in meinem Ansinnen, die Ausbildung etwas realitätsnaher zu gestalten, zeigt sich in Form von Sicherheitsauflagen und komplizierten Bewilligungsverfahren, wenn ich mit den Studierenden den Campus verlassen möchte. Exkursionen oder Strassenumfragen werden wenn möglich vermieden, da die Dozierenden die volle Verantwortung für die Studierenden tragen. Was in der Schweiz längst etabliert ist - die Verbindung zwischen Ausbildung und  «Tourismusrealität» - ist hier noch in weiter Ferne.

Gastvorlesungen zu geben oder Reden zu halten sind wichtige Elemente der chinesischen Universitätskultur. So bin denn auch ich aufgefordert, jeweils am Freitagnachmittag vor unterschiedlichem Publikum zu sprechen. Das Programm wird am Eingang der verschiedenen Campusgebäude publiziert und Gäste anderer Departemente sind zu den Veranstaltungen eingeladen.

Der erste Termin galt der Schweiz und ihrem Tourismus, dabei fanden die Schoggistängeli besonderen Anklang. Die über hundert Tourismusstudierenden wollten aber auch wissen, welche Orte nun in der Schweiz besonders sehenswert seien, und die Vorstellung, dass es hier nicht nur Berge, sondern auch hochindustrialisierte Gebiete gebe, erstaunte. Für Zürichs Primetower mit seinen 126 Metern Höhe hatten die jungen Chinesinnen und Chinesen allerdings nur ein Lächeln übrig. Altersbedingt, und wohl auch aufgrund der fehlenden Reiseerfahrung, haben diese Studierenden den Blickwinkelwechsel vom eigenen Reisewunsch zum touristischen Leistungsträger aber noch in keiner Weise vollzogen.

Die Veranstaltung der kommenden Woche ist der angewandten Forschung als Kooperation zwischen Hochschule und Tourismusbranche gewidmet. Am Beispiel des abgeschlossenen Bündner Projekts «China Inbound Service» werde ich die Chancen für die Lehre aufzeigen und versuchen, in den Gedanken meiner Zuhörerschaft einen Transfer nach China anzustossen.

Neben meinem Engagement an der SUES gibt es in Shanghai für mich jede Menge zu erleben. So gehört der Besuch von Fachveranstaltungen wie der «Seatrade Cruise Asia Pacific», zu welcher ich dank der Vermittlung der Universitätsleitung eingeladen war oder auch das eigene Reisen im Land zu meinen Tätigkeiten. Und ‘last but not least’ versuche ich möglichst in den chinesischen Alltag einzutauchen; dank hiesigem Bankkonto, Wechat und Mobile ist es mir möglich, mit dem Handy zu bezahlen oder die öffentlichen Velos zu nutzen. Letztere sind äusserst beliebt und gehören zu den wichtigsten Entwicklungen der letzten zwei Jahre in den chinesischen Städten. Die gelben und orangen Fahrräder stehen zu hunderten fast überall, können mit einer App geöffnet und an einem beliebigen Ort wieder abgestellt werden. Die Kosten berechnen sich nach Benutzungsdauer, für eine Stunde bezahlt man einen Yuan (15 Rappen). Dank diesen Fahrrädern wird der motorisierte Verkehr zumindest etwas entlastet und Bewegung gibt es gratis. Nur meinen Fahrstil musste ich anpassen, denn gefahren wird aufgrund der verschwundenen Radwege oft auf dem Trottoir, wo auch hunderte von Fussgängern und Essstände sind, und die Bremsen ….

Neben vielen positiven Erlebnissen gibt es auch Schwierigkeiten zu meistern; allen voran die Unzuverlässigkeit des Internets und die komplizierte, zeitraubende Bürokratie in allen öffentlichen Fragen wie Bankkonten, Visaformulare oder Abläufe an der Hochschule. Diese sind auch für meine Gastgeber oft nervenaufreibend und werden mit einer für mich erstaunlichen Kreativität bezüglich der Lösungswege angegangen. Und ja, dann gibt es natürlich auch die Sprachschwierigkeiten - ich bedaure, nicht viel früher mit dem Chinesisch lernen begonnen zu haben, dann könnte ich mit den Leuten wirklich sprechen und fragen, was ich in den lokalen Restaurants esse. Lautet die Antwort jedoch wie auch schon «Entenzunge» oder «Ochsenfrosch», hätte ich vielleicht lieber nicht gefragt.

 

Prof. Barbara Haller Rupf ist verantwortlich für den Aufbau und des Joint Programms «International Business – Tourism and Business Management» mit der Shanghai University of Enginieering Science SUES. Zurzeit weilt sie auf Einladung der SUES in Shanghai, unterrichtet das Modul «Introduction to tourism» für die dortigen Studierenden und pflegt mit den Dozierenden den Wissensaustausch bezüglich Tourismus und Unterrichtsmethoden an der Fachhochschule.

Vorbereitungsauftrag der Studierenden ins Modul Tourismuseinführung; Karstlandschaft von Guiling/Yangshuo
Vorbereitungsauftrag der Studierenden ins Modul Tourismuseinführung; Karstlandschaft von Guiling/Yangshuo
SUES Empfang auf der Dachterrasse.
SUES Empfang auf der Dachterrasse.
Sequenzen aus dem Unterricht.
Sequenzen aus dem Unterricht.
Sequenzen aus dem Unterricht.
Sequenzen aus dem Unterricht.
Mein Freitagsprogramm.
Mein Freitagsprogramm.
Plenumsveranstaltung für alle Studierenden des Joint-Programms.
Plenumsveranstaltung für alle Studierenden des Joint-Programms.
Abstellplatz für die «Shared-bikes» entlang Shanghais Strassen.
Abstellplatz für die «Shared-bikes» entlang Shanghais Strassen.
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