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Zwischen Wehmut und Training

Südostschweiz
01.03.21 - 14:04 Uhr
Luana Flütsch
Wiederholende Strapazen: Es ist bereits die fünfte schwere Verletzung für Luana Flütsch.
PHILIPP BAER (ARCHIV)

Spitzensport – für die meisten Athletinnen und Athleten bedeutet dies harte Arbeit, Entbehrungen und eine grosse Portion Leidenschaft. Im Format «Sportlerblog» schreiben junge Bündner Sporttalente über ihren Weg an die Spitze.

von Luana Flütsch*

Es ist nur ein Knie, eines das heilen wird ­­– und doch ist es so viel mehr. Es sind die psychischen Schmerzen, die mir zu schaffen machen. Tiefpunkte erlebte ich schon so einige in meiner Karriere, jedoch ist die aktuelle Herausforderung sicherlich mit Abstand die grösste.

Die Reha läuft gut, ich bin bestens betreut und gebe bereits wieder Gas im momentan möglichen Bereich. Doch eine solche Rehabilitation ist hart, physisch und psychisch. Beim ersten Mal ist alles noch aufregend und spannend, eine total neue Situation. Natürlich verläuft eine solche je nach Verletzung immer anders ab und doch ist das Prinzip stets das gleiche: Jeden Tag das Beste geben, um möglichst schnell gesund und fit zurück auf dem Schnee zu stehen.

Leider läuft eine  Rehabilitationskurve nicht immer nur steigend. Es kann Wochen geben, da geht es steil bergauf, alles läuft wie am Schnürchen, keine Schmerzen und grosse Fortschritte. Doch es kann gut darauf auch eine Zeit folgen, in der nichts mehr geht. Plötzliche Schmerzen, Rückschritte im Training und Motivationsverlust. Das alles gehört dazu.

«Sechs bis neun Monate vergehen bis zum erneuten Versuch auf Skiern.»

Ob es nun beim fünften Mal einfacher geht, weil man den Ablauf schon blind kennt? Ja und Nein. Sicherlich kennst du deinen Körper noch besser, kannst Situationen klarer einschätzen und planen, aber genau dieses Vorwissen erschwert dir auch den Blick nach vorne. Du weisst genau, wie lange es geht, bis du wieder auf dem Konditionsniveau von früher bist, kennst die mentalen Hürden, die auf dich warten nur zu gut und bist bestens informiert über die Herausforderungen, die beim Comeback auf dem Schnee kommen werden. Sechs bis neun Monate vergehen bis zum erneuten Versuch auf Skiern, das ist eine lange Zeit und sehr viel Arbeit steht noch bevor, physisch und psychisch.

Weshalb jetzt? Warum schon wieder? Fragen, auf die es nie wirklich klare Antworten geben wird. Bis anhin war jedoch die Einsicht immer schnell da, meine starke Intuition hat mich nie getäuscht und so konnte ich Rückschläge und Verletzungen stets relativ schnell überwinden. Doch dieses Mal ist es anders, eine komplette Überraschung, hat doch das Puzzle so gut wie seit Langem nicht mehr zusammengepasst. Ich spürte, dass es meine Zeit ist.

Doch zurück auf die Couch, zurück zum wehmütigen Fensterblick nach draussen. Mir fehlt das Gefühl im Starthaus, wenige Sekunden bevor es losgeht. Der letzte Blick in die Ferne, in das meist so imposante Panorama. Der letzte tiefe Atemzug und das Lächeln, das mich stets überkommt. Doch gleichermassen fehlt mir das Skifahren und die Bewegung abseits der Pisten. Das Gefühl, eins mit der Natur zu sein, vor Freude loszujauchzen auf dem Gipfel und danach deine eigene, nicht vorgegebene Linie in den Schnee zu ziehen. Ich bin unglaublich dankbar, darf ich solche Momente so intensiv erleben, doch umso härter macht es auch jene, die ich jetzt erlebe, jene auf der Couch.

«Natürlich werden auch die psychischen Wunden heilen, davon bin ich überzeugt.»

In den letzten Wochen gab es einige Momente, in denen ich am liebsten im Erdboden versunken wäre. Momente, in denen ich einfach nur unglaublich traurig bin. Meinen sonst so starken Optimismus und Enthusiasmus spüre ich gerade kaum noch, unbeschwerte Stunden sind eher rar geworden. Es braucht Zeit, mehr als ich gedacht hätte. Bei der fünften, schwereren Verletzung fällt der Blick nach vorne offenbar doch einiges schwerer als bis anhin. Natürlich werden auch die psychischen Wunden heilen, davon bin ich überzeugt.

Keine fixe Planung, keine genauen Daten und somit keinen zusätzlichen Druck. Ich will nicht mehr alles auf genaue Zeitpunkte planen, besonders nicht meine Rückkehr auf den Schnee. Was ich momentan will, ist, mein Bestes zu geben und gesund und fit diese Reha abzuschliessen, um meinem Körper wieder hundert Prozent Vertrauen schenken zu können. Viel weiter schaue ich gerade nicht. Kommt Zeit, kommt Rat.

Gerne hätte ich euch über positivere Erlebnisse berichtet, doch finde ich genau in solchen Momenten den Blick ins Innere eines Athleten wichtig. Beispielsweise um Entscheide, Reaktionen oder Aussagen besser zu verstehen und nachzuvollziehen. Dieser Blick fehlt aber oftmals, da wir logischerweise lieber Erfolgsgeschichten lesen und hören. Mit der Bitte, dass Ihr den Winter auch ein wenig für mich geniessen sollt, schliesse ich das Fenster in mein aktuelles Gedankenchaos wieder und wünsche Euch eine tolle Woche.

*Luana Flütsch aus St. Antönien ist Skirennfahrerin im B-Kader von Swiss Ski. Die 26-Jährige, die in ihrer Karriere immer wieder durch Verletzungen ausgebremst wurde, schreibt für «suedostschweiz.ch» über ihre Mission, sich im Weltcup zu etablieren.

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