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Was kümmern mich morgen die Sorgen von gestern

Andrea
Masüger
28.09.19 - 04:30 Uhr

In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Der Wahlkampf 2019 mündet langsam in den Endkampf ein. Die letzte Session in Bern ist abgeschlossen, nun geht es noch um Einzelscharmützel. Doch servieren die über 4600 Kandidatinnen und Kandidaten uns Wählerinnen und Wählern wirklich auch jene Themen, die uns interessieren? Oder plappern sie irgendetwas daher, das wir gar nicht wissen wollen?

Gemäss den verschiedenen aktuellen Publikumsbefragungen und Sorgenbarometern gibt es drei Themen, die für die Stimmbürger ganz oben stehen: die Krankenkassenprämien, der Klimawandel und die Schweizer Zukunft in Europa. Je nach Umfrage liegt mal das eine oder andere Thema zuoberst, an zweiter oder an dritter Stelle, doch alle drei sind prioritär. Was aber sagen uns die lieben Politiker dazu?

Das Thema Krankenkassen hat sich soeben selbst erledigt, vorläufig wenigstens. Der Trend zu immer höheren Prämien scheint gebrochen, nächstes Jahr steigen diese bloss um 0,2 Prozent – der schwächste Anstieg seit 33 Jahren. Die CVP und die SP haben mit Volksinitiativen versucht, das Thema wahlkampffähig zu machen (die SP mit einer gigantischen finanziellen Umverteilungsaktion, die CVP mit einer eher proklamatorischen Kostendeckelung), doch diese Botschaften sind nie richtig angekommen. Obwohl man davon ausgehen kann, dass die Prämiensteigerungen nur mal kurz ausgesetzt, aber nicht erledigt sind, kann man das Thema für den Wahlkampf abhaken.

Beim Klimawandel immerhin ist die Politik aktiv geworden. Der Ständerat hat das Gesicht gewahrt und einen Treppenwitz der Geschichte – die nationalrätliche Versenkungsaktion des CO2-Gesetzes vom Dezember – beseitigt. Ja, die kleine Kammer hat diese Woche kräftig Gas gegeben: Benzin und Heizöl dürften bald teurer werden, die Herumfliegerei wird mit einer Abgabe vergällt und mancher Hausbesitzer dürfte staunen, wenn er in drei Jahren keine neue Ölheizung mehr einbauen darf. Der Ständerat hat sich dem Klimaziel des Bundesrates und sogar jenem der Gletscherinitiative angeschlossen: netto-null CO2-Emissionen bis 2050.

Geradezu desaströs aber zeigt sich die Situation Schweiz – Europa. Das Rahmenabkommen befindet sich in einem komatösen Zustand, wobei sich die Ärzte nicht etwa am Krankenbett um eine Genesung bemühen, nein, sie haben sich in die Kaffeepause davongeschlichen. Man ist weit entfernt von den vom Bundesrat grossspurig angekündigten Präzisierungen in drei wichtigen Punkten. Die gegenwärtige EU-Kommission samt ihrem Chef Juncker wird in vier Wochen Geschichte sein und die Warnungen der Schweizer Wirtschaft, man steuere auf einen «Schwexit» zu, verhallen ungehört. Ausser der SVP, die gelegentlich ihr Unterwerfungs-Mantra herunterleiert, äussern sich derzeit partout keine Partei und kein Politiker zum Thema. Man tut so, als gäbe es dieses unselige Abkommen gar nicht.

Man muss allerdings die Damen und Herren Kandidierenden an dieser Stelle auch etwas in Schutz nehmen. Sie wissen nämlich nicht genau, was diese Sorgenbarometer aller Art eigentlich aussagen. Haben die Schweizerinnen und Schweizer Angst vor zu hohen Krankenkassenprämien oder sind sie unzufrieden, dass die Kassen ihnen zu wenig vergüten? Der Trend zur unbeschränkten Konsumation von Gesundheitsleistungen ist nämlich ungebrochen, die hohen Prämien kommen nicht aus dem Nichts.

Die Angst ums Klima verträgt sich schlecht mit den zunehmenden Spitzentagen am Flughafen Kloten mit über 100 000 Passagieren, die mit jährlichen Zuwachsraten von zwei bis drei Prozent zu den Flugzeugen drängen. Und auch der Trend zu immer grösseren und schwereren Autos spricht für sich. Klar ist auch, dass ein Rahmenabkommen mit der EU an der Urne wenig Chance hätte, weil Linke und ganz Rechte gemeinsam das Totenglöcklein schwingen.

Ja, es ist für den Herrn Nationalratskandidaten und für die Frau Ständeratskandidatin heuer wirklich nicht leicht. Denn Herr und Frau Schweizer machen sich Sorgen um Dinge, die sie gar nicht ändern möchten.

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