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Wollen unsere Politikerein türkisches Justizsystem?

Andrea
Masüger
03.08.19 - 04:30 Uhr
KEYSTONE
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In seiner Kolumne «Masüger sagts» widmet sich Andrea Masüger aktuellen Themen, welche die Schweiz und die Welt bewegen (oder bewegen sollten). Der heutige Publizist arbeitete über 40 Jahre bei Somedia, zuerst als Journalist, dann als Chefredaktor, Publizistischer Direktor und zuletzt als CEO.

Bundesrichter sollten derzeit verhüllten Hauptes durch die Gegend schleichen. Sie könnten sonst von Bankern oder von bürgerlichen Politikern mit Bierflaschen oder Tomaten attackiert werden. Das oberste Schweizer Gericht hat letzte Woche nämlich entschieden, dass die Grossbank UBS 45 000 Datensätze von Kunden an die Franzosen herausgeben muss, welche dann Jagd auf Steuerhinterzieher machen können.

Das Urteil bedeutet, dass künftig Schweizer Banken ausländische Kundendaten preisgeben müssen, sobald irgendeine Namensliste vor-gelegt wird, unbesehen der Tatsache, ob darauf Verdächtige stehen. Die Franzosen setzen also nicht gezielte Schüsse ab, sondern feuern mit der grossen Schrotflinte in der Meinung, dass schon ein paar Richtige getroffen werden. Das Schweizer Parlament hatte einst solche ausländischen Praktiken verboten.

Vor allem die SVP tobt. Der 3:2-Entscheid des fünfköpfigen Richtergremiums kam zustande, weil ein SVP-Bundesrichter für die Datenherausgabe stimmte. Aufgrund der Ausgangslage mit einer grünen Richterin, einem GLP- und einem CVP-Vertreter sowie zwei SVP-Richtern war man davon ausgegangen, dass das Ansinnen der Franzosen niedergeschlagen würde. Nun hat ausgerechnet ein Richter der Schweizerischen Volks-partei die Schweiz verraten. Ein Mann notabene, der von der Partei stets über den grünen Klee gelobt wurde und den man erst im dritten Anlauf ins Bundesgericht gebracht hatte. Dort erweist er sich aber offenbar als besonders unabhängig: Wie der «Tages-Anzeiger» recherchierte, hatte er vor vier Jahren bereits einmal gegen die SVP gestimmt, in einem Urteil zum Verhältnis der Schweiz zu Europa.

Wer einmal die Staatstheorie von Montesquieu mitbekommen hat, wird nun sagen: Nun denn, das Urteil mag falsch sein und kann der Schweiz sogar schaden, aber es ist nun mal so. Die Gewaltenteilung bringt auch die Unabhängigkeit der Judikative mit sich; die Richter sind in ihren Entscheiden frei. Selbst dann, wenn sie Gesetze nicht beachten oder falsch interpretieren (was auch wiederum Interpretations-sache ist). So was muss man als guter Staatsbürger aushalten.

Doch als Montesquieu in der Schule Thema war, sassen die meisten Politiker wohl am Fenster. Nur so ist zu erklären, dass sie jetzt geloben, den fehlgeleiteten Richter bei der nächsten Wahl nicht mehr zu bestätigen. Dieses Vorhaben mag noch knapp drinliegen. Doch besonders krass ist die Forderung verschiedener Parteigrössen aus dem bürgerlichen Lager (nicht nur aus der SVP), gegen solche Abweichler ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten. Wie das gehen soll, ist schleierhaft. Vielleicht kann ja Herr Erdogan aus der Türkei hier weiterhelfen. Er hat Erfahrung in solchen Dingen.

Dass das Parlament das Prinzip der Gewaltenteilung zunehmend erodieren und veröden lässt, zeigt auch ein Entscheid aus der vergangenen Sommersession: Da hat der Nationalrat ein Verordnungsveto beschlossen. Das Parlament soll künftig nicht genehme Verordnungen des Bundesrates kippen können. Die Legislative greift damit in die Hoheit der Exekutive ein. Genau gleich, wie sie mit der Nichtwiederwahl von renitenten Richtern oder gar mit deren Amtsenthebung in die Hoheit der Judikative eingreifen will.

Es gibt nichts Schlimmeres als Richter, die alleine nach Parteibuch entscheiden. Sie setzen damit die Polarisierung der Politik in den Parlamenten und Regierungen fort und tragen sie in eine Behörde, die frei von Interessen und unabhängig von Instruktionen sein sollte. Man müsste deshalb das Richteramt nicht stärker an die Parteiräson binden, wie nun erhitzte Gemüter fordern, sondern dieses im Gegenteil vermehrt vor Parteiinteressen schützen. Das heisst: Richter dürften keiner Partei angehören und müssten als unabhängige Persönlich-keiten und Experten gewählt werden.

Nur wird dies das Parlament nie zulassen, weil ihm das heutige System Gewähr bietet, das Parteiengezänk durch alle staatlichen Institutionen hindurchzuziehen. Hier öffnet sich deshalb ein perfektes Feld für eine Volksinitiative für die Unabhängigkeit der Justiz. Oder gar für die Volkswahl von Bundesrichtern.

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