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In der Warteschlange

03.03.19 - 04:30 Uhr

In dieser Kolumne von Pesche Lebrument gehts um nichts Besonderes. Einfach Leben.

Verdammter Drängler! Schritt für Schritt schiebt sich sein Körper in die Warteschlange, ich sehe ihn von der Seite. Der Mann mit dem Fischmaul schaut hoch zur Betondecke, die herunterhängenden Hände sind in Unschuld gekreuzt.

Ich hatte ihn von Anfang an im Blick, ich wusste doch gleich, dass mit dem etwas nicht stimmt. Direkt vor mir schleicht er in die Schlange. Wir alle hier haben unseren Platz in dieser Menschenmenge rechtmässig erstanden. Der feine Herr glaubt wohl, er sei etwas Besseres. Ich schliesse dicht auf, den lasse ich nicht hinein. Warum macht er Rast in einer Raststätte, wenn er es doch so eilig hat?

Das gibt es doch gar nicht. Andere stehen plötzlich dort an, wo Fischmaul sich hineindrängt. Er bildet doch keine offizielle Kolonne! Fischmaul bringt die ganze Reihe aus dem Konzept. Dieser Feigling dreht sich noch nicht einmal um, er wagt es nicht uns anzusehen. Er bekäme meine ganze Verachtung mimisch zu spüren.  

Warum wird die andere Kasse nicht geöffnet? Der Parkplatz ist so voll wie die Raststätte, immer mehr Menschen drängen hinein. Wenigstens stehen sie alle anstandslos an, beweisen ehrliche Geduld. Anstehen in Anstand gilt nicht für Fischmaul, er gibt nicht auf, drängt tapsend in die Schlange. Sanft schiebe ich mich weiter vorwärts. Die Enge füllt sich, aus menschlicher Wärme wird schweisstreibende Hitze.

«Entschuldigen Sie, Sie Arschloch, miar stönd do au alli a», könnte er meine Gedanken hören, würde er mich wohl wegen Ehrverletzung anklagen. Aber was soll man von einer solch traurigen Figur auch anderes erwarten? Er lässt sich ja augenscheinlich in allen Bereichen gehen.

Wenn ich die Augen zusammenkneife, kann ich die gläserne Vitrine vorne bei der Kasse sehen. Säfte, Sandwiches und Süsses warten auf einer Eiswürfellandschaft. Die Hitze wird unerträglich. Fischmaul hat Glück, muss ich hier nur die Zeit totschlagen.

Die Hoffnung kommt aus der Küche, eine Angestellte macht sich offenbar daran eine weitere Kasse zu öffnen.  Fischmaul lauert, macht sich sprungbereit, ich sehe es ganz genau.  Ich bewege mich nicht von der Stelle, zu viel Zeit habe ich bereits in diese Warteschlange investiert. Die Kassiererin winkt, die Schlange bricht auseinander, Fischmaul schiesst hinüber. Er steht nun in der anderen Kolonne viel weiter vorne als ich.

Zwanghaft öffnet sich mein Mund. Gähnen, immer wieder gähnen. Ich brauche Kaffee. Und etwas Kühles. Und etwas zum Knabbern. Ich schiele hinüber, meine Schlange holt auf, Fischmaul fällt zurück, geschieht ihm ganz recht. Der alte Mann zuvorderst an seiner Kasse gibt ihm den Rest, mühselig zählt er Münzen ab. Sieg! Triumph! Ich stehe vor Fischmaul an der Kasse!

Parkplatz. Ausfahrt. Stau. Alle wollen gleichzeitig auf die Autobahn. Die Blechschlange nimmt kein Ende. Stossstange an Stossstange, keine Lücke, nirgends, niemand lässt mich hinein. Verdammte Egoisten. Verstohlen trete ich aufs Gas, Radumdrehung um Radumdrehung schleiche sich mein Fahrzeug näher zur Schlange. Plötzlich blitzen Scheinwerfer auf. Ich fahre in die Kolonne und winke zum Dank. Der Mann mit dem Fischmaul winkt zurück.

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