×

Warten

24.02.19 - 04:30 Uhr
PIXABAY

In dieser Kolumne von Pesche Lebrument gehts um nichts Besonderes. Einfach Leben.

Sie weiss doch, dass ich auf sie warte. Sie sah mich aus der Wohnung gehen. Jetzt sind es schon 11 Minuten, nein 12, die Uhr im Auto ist gerade gesprungen.  

Bei 5, 6 Minuten sage ich ja nichts. Ich bin ja auch kein Heiliger.  Aber mittlerweile sind es volle 12 Minuten. Was würde ich wohl zu hören kriegen, wenn ich meine Freundin so lange warten liesse?

Warten, immer wieder warten. Warten im Wagen, warten vor der Wohnung, warten im Warenhaus, es ist ein einziges Warten auf die Frau. Und sie erwartet auch, dass ich warte. Wir verabreden uns sogar zum Warten, meist vor dem Damen-Klo etwa bei Konzerten, Kinos, oder Kaufhäusern. Dort übergibt sie mir jeweils ihre Tasche. Oft wartet bereits eine ganze Gruppe Männer mit Taschen vor der Frauentoilette. Wir warten wie Hunde, die angeleint und wieder abgeholt werden.  

Hoffnung! Die Lampe im Treppenhaus brennt. Eine Schattengestalt kommt auf mich zu. Sie ist es… doch nicht, der Schatten bewegt sich ganz anders.  Wo steckt sie denn bloss? Das gibt’s doch gar nicht. Wer bin ich denn für sie?

Wieder springt die Uhr. 15 Minuten, sensationelle 15 Minuten! Sie lässt mich eiskalt sitzen. Warten, immer wieder warten.

Warten ist nicht gleich warten. Ich warte gerne auf gutes Essen, auf schönes Wetter, auf erholsame Ferien. Nicht einmal das Warten im Wartezimmer meines Arztes macht mir etwas aus. Auf meine Freundin zu warten ist anders. Erst jetzt fällt mir auf, dass sich meine Hände krampfhaft am Lenkrad festhalten. Warten ist ein Zustand sinnloser Zeit. Warten ist ein Kind, das stillsitzen muss.

Immer wieder blicke ich von der Auto-Uhr aufs Handy, kein Anruf, keine SMS, was hält sie denn nur auf? Jetzt sind es 17 Minuten, sagenhafte 17 Minuten! Warten, immer wieder warten. Wäre meine Freundin nicht, dann müsste ich nicht warten.

Wie soll ich reagieren, wenn sie dann doch einmal einsteigt? Soll ich sie fragen, ob sie noch einen Kuchen gebacken hat? Warten ist eine Anhäufung langweiliger Momente. Einen Grossteil meines männlichen Lebens habe ich bereits mit Warten auf Frauen zugebracht.

Wieder wirft das Licht eine Gestalt ins Treppenhaus. Das könnte sie sein, sie ist es, da ist sie. Da sie da ist, hat das Warten ein Ende. Sie nähert sich, langsam. Ich gehe meiner Freundin entgegen und hieve ihre schweren Taschen in den Kofferraum. Ich lasse mir nichts anmerken. Steig Du mir erst mal ein, Madame!

Beim Öffnen der Autotüre starrt sie plötzlich auf den Boden, bückt sich und klaubt etwas auf. Sie setzt sich und sagt: «Sorry.» Nichts weiter. Keine Begründung. Nicht der geringste Hinweis darauf, was sie aufgehalten haben könnte. Sie küsst mich auf die Wange und schnallt sich an. Dann streckt sie mir ihre geschlossene Hand hin: «Luag, i han öppis für Di». Sie grinst übers ganze Gesicht. Sie lässt mich zappeln. Schliesslich gleiten ihre Finger zur Seite, ein kleines Etwas kommt zum Vorschein: Ein Stein, fast hat er die Form eines Herzens.

Kleine Geschenke. Immer wieder überrascht sie mich. Einfach so. Sie zaubert mir Laune in die Mundwinkel. Mit dem Lächeln kommt ein Gedanke: Auf die Richtige warte ich gerne.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.