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Glück-Los

17.02.19 - 04:30 Uhr
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In dieser Kolumne von Pesche Lebrument gehts um nichts Besonderes. Einfach Leben.

111 Millionen. Unglaubliche 111 Millionen verspricht das Lotto-Plakat beim Kiosk. «Machemer mit?», fragt meine Freundin vergnügt. Ich spiele nie, außer bei historisch hohen Gewinnversprechen. Heute.

Sie: «111 Milliona. Überlegg amol. » Ich überlege. Ich überlege schon, seit ich den Jackpot-Aushang von weitem sah. 111 Millionen! Was würde ich damit anfangen? Weltreisen? Weiterarbeiten? «Zerscht zahlsch amol kräftig Stüüra», ich wundere mich selbst über meine Antwort.  

Gebeugt stehe ich am kleinen Tisch über dem Lottoschein. Wie soll ich die Zahlen ankreuzen? Möglichst gleichmässig ? Wilde Muster? Gibt es eine Strategie für das Glück?

Ich kreuze auf gut Glück an. Auf dem gleichen Schein gibt auch meine Freundin einen Tipp ab, sie setzt auf ihre Glückszahlen. Sie sagt, sie möge die 3, weil sie an einem dritten Geburtstag hat, auch die 7 fände sie sympathisch, wieso wisse sie nicht. 

Ich bezahle, der Kioskmann überreicht meiner Freundin den Lottoschein. Fragen überfallen mich: Würde sie mit mir teilen, wenn sie feststellt, dass sie das Millionenlos in Händen hält? Würde ich? Würde sie bei mir bleiben? Würde ich? Draussen streckt sie mir den Schein entgegen: «Pass Du uf na uf.»

Nirgends sonst investiere ich in Geschäfte mit solch geringen Gewinnchancen, Lotto ist aussichtlos, beinahe, doch die unwahrscheinliche Wahrscheinlichkeit auf den Hauptgewinn weckt Fantasien. Ich investiere in diesen „Was-wäre-wenn“-Traum, er platzt erst bei der Ziehung.

Es bleibt mir ja auch nur das Träumen. Ich gewinne nie. So gut wie nie. Einmal als Kind, Turnhallen-Tombola, das Plüschtier war lebensgross. Danach war es mit dem Glück vorbei. Ganz anders meine Freundin, sie gewinnt ganz oft, ganz gleich wo sie teilnimmt:  Der Weihnachtsbaum vom Weihnachtsmarkt war ein Wettbewerbsgewinn.  Ihr Laptop wurde unter den Teilnehmern einer Umfrage verlost. Unser Kochgeschirr stammt von einem Preisausschreiben. Warum hat sie so viel Glück? Was unterscheidet unser Glück? Ist Glück parteiisch?

111 Millionen! Mein Leben würde sich komplett verändern, das weiss ich, ich weiss nur nicht wie.  Hängt mein Traumleben von Millionen ab oder hänge ich derzeit am Gängelband meines Gehalts? Vom Lohn bezahle ich mein Leben ab: Miete, Strom, Steuern. In 111 Millionen wäre das alles bereits bis zum Tode enthalten und darüber hinaus. Bleibt bei einem Millionengewinn mehr Leben übrig?

Tage später. Einkauf am Kiosk. Beim Bezahlen zeigt sich der zerfledderte Lottoschein im Portemonnaie, der Kioskmann steckt ihn ins Prüfgerät. Er sieht zu mir hoch, grinst, gratuliert, gewonnen! 2 Richtige plus Zusatzzahl, ich habe 5 Franken erspielt. Das ist nicht der Hauptpreis, aber immerhin. Gibt es kleines Glück und grosses Glück? Hatte ich überhaupt Glück, gewann nicht eher der Tipp meiner Freundin?

Der Kioskmann rät den Gewinn zu investieren, ein neuer Lottoschein kostet genau 5 Franken. Ich setzte mein Glück aufs Spiel.  Zurück erhalte ich den neuen Schein. In Händen halte ich einen Traum auf Papier zusammen mit der winzig kleinen Hoffnung auf das ganz grosse Glück.

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