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Geschichte hinter Glas

20.01.19 - 04:30 Uhr
PIXABAY

In dieser Kolumne von Pesche Lebrument gehts um nichts Besonderes. Einfach Leben.

Die Besucher laufen unkoordiniert an den Schaukästen des Museums vorbei. Schuldlos bin ich hier hineingeraten, Gruppenentscheid, Kurzausflug mit Freunden.

Besucher werden bewegt vom Glanz der Objekte, ganze Gruppen folgen Führern, andere werden gesteuert von Audioguides. Auch mir gibt er Anweisungen, er dringt über Kabel in meinen Kopf: «Gehen sie jetzt zum Objekt Nummer 22 und bleiben Sie davor stehen.» Schon steh ich hier und starre.

Den Audioguide gab’s gegen Aufpreis an der Kasse. Der vorderste der Gruppe hat alles bezahlt. Es war ja schliesslich auch sein Vorschlag, hierher zu kommen. Er überreicht uns Ticket und Kopfhörer: «Träffemer üs do wieder in zwei Stund?» Zwei volle Stunden? Wirklich? Alle nicken, auch mein Kopf bewegt sich mit.  

Am Eingang fragt ein alter, offensichtlich freischaffender Führer, ob er die Ausstellung erklären soll. Ich halte entschuldigend meinen Audioguide hoch und zwänge mich durch das Drehkreuz.

Schaulustige stehen stumm vor Scheiben, andere flüstern, es klingt wie in heiligen Hallen. Ich stehe still vor Objekt Nummer 22. Erst die Erklärungen des Audioguides machen aus ihm ein geschichtliches Ereignis. «Gehen sie jetzt zu ihrer Rechten durch die Türe zu Objekt Nummer 23.» Der Audioguide führt mich durchs ganze Gebäude: Treppe hoch, Treppe runter, schon stehe ich im nächsten Saal.

Die gleichförmige Stimme im Ohr erklärt Objekt Nummer 23, ein Portrait: Mode, Frisuren, Farben, durch das Gemälde sehe ich in vergangene Jahrhunderte. Schönes Bild, hübsche Frau, ich schiesse von ihr ein Foto. Der Gesichtsmodus meiner Kamera erkennt die längst verblichene Schönheit.

Ein Mädchen rennt durch die Halle und bringt Bewegung in die statische Ausstellung. Das Kind hat eine hübsche Mutter, ich spähe sie von der gegenüberliegenden Seite aus, die Vitrine ist rundum verglast.  

Warum stehen hier Stühle nur für Museumsaufseherinnen? Sie sitzen in fast jedem Raum. Ich sehe ihnen fasziniert zu, wie sie immer wieder einnicken. Auch meine Beine sind müde, ich stelze den Schaukästen entlang. Immer öfter bleibe ich vor Statuen stehen, selbst meine Arme sind schlaff vom vielen Herunterhängen. Eben schlurfte einer meiner Gruppe mit leerem Blick vorbei, er hat mich nicht gesehen.

Gedanken schalten das Gehör ab und blenden den Audioguide aus.  Statt der Stimme im Kopf folgen meine Beine den «Exit»-Schildern.

Was soll dieses Gedränge da vorne? Alle stehen um ein Bild. Mit kleinen Schritten schiebe ich mich in die Menschen und betrachte das Massenphänomen. Eine unscheinbare Zeichnung, ich lese die Beschriftung. Weltbekannter Künstler, ein wahres Meisterwerk, schon klickt meine Kamera.  

Der Ausgang liegt am Ende des Souvenirshops. Alle sind schon da, lange vor der vereinbarten Zeit. Fachmännisches Gerede, noch vor einer Stunde hatten wir keine Ahnung. Wir sind uns einig: Es war gleichermassen interessant wie anstrengend. Wir zwängen uns durch das Drehkreuz und nehmen einige Geschichten hinter Glas mit in die Gegenwart.

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