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Nachtschwärmer

30.12.18 - 04:30 Uhr

In dieser Kolumne von Pesche Lebrument gehts um nichts Besonderes. Einfach Leben.

Die Dunkelheit verändert die Landschaft. Steile Berge werden zu sanften Hügeln, Kanten zu Konturen. Der kühle Mond wirkt am Himmel wie ein kleines Notlicht. Er beleuchtet den Waldrand. Bodennebel schwelt um Baumstämme wie Pulverdampf nach einer Schlacht. Strahlend schöne Dunkelheit.

Die Nacht ist meine liebste Tageszeit. Oft gehe ich hinaus und sehe sie mir an. Derzeit besonders intensiv, ich verdaue die Fest- und Feiertage. In der Nacht steht die Zeit zur freien Verfügung.  An meinen freien Tagen wird die Nacht zum Tag.

Die Nacht räumt Strassen und Plätze. Sie zwingt Menschen ins Bett und löscht die Erinnerung an den Tag. Hier draussen gibt sie mir das Gefühl, ganz alleine auf dem Planeten zu sein. Der Himmel ist unbetretenes Land. Es ist, als hätte ihn jemand mit Mehl bestäubt, überall strahlende Punkte wie leuchtendes Glas.

Bald bricht eine besondere Nacht an: Die Neujahrsnacht. Das neue Jahr wartet hinter der Datumsgrenze.

Die Turmuhr schlägt lauter in der Dunkelheit. In der Neujahrsnacht zähle ich lautstark mit. In keiner anderen Nacht schauen wohl so viele Menschen in den Himmel. Alles beginnt mit einem grossen Knall. Ein Himmel voller Farben. In der Silvesternacht liegt das neue Jahr wie eine Überraschung vor mir. Dann dämmert der Morgen.  

2019. Jahre sind mit Zahlen versehen um das Leben zu sortieren.  Jahreszahlen werden sichtbar auf Buchumschlägen, Ausweisen, Grabsteinen oder Weinflaschen. Jahreszahlen helfen beim Einordnen und Ablegen.

Nie feiere ich den Abschluss des alten Jahres, immer nur das Neue. Was wird neu im neuen Jahr? Vergleiche ich dieses Jahr mit dem letzten, hat sich im Wesentlichen die letzte Ziffer der Jahreszahl geändert.

Lassen sich Jahre überhaupt planen, gar formen? Vielleicht geschehen Jahre einfach. Vielleicht gibt es wie bei Weinen einfach außerordentliche gute Jahrgänge. Jedenfalls lebe ich jedes Jahr, als gäbe es noch ein nächstes.

Der Himmel malt immer andere Motive. Die Augen staunen, die Zähne klappern, die Kälte sucht Schutz in meinen Gliedern. Die Kälte frisst sich in die Oberschenkel und lässt mich schneller gehen. Doch im Dunkeln wird Gehen zu Schleichen. Ich kann nur erahnen, wo Hindernisse lauern. Es ist, als läge jedem Schritt etwas Geheimnisvolles voraus. 

Bleiches Mondlicht führt mich zu den Strassenlampen. Ein letztes Mal schaue ich hoch zum Himmel. Es kommt mir vor, als würde sich das Firmament selbst übertrumpfen.

Bald bricht eine besondere Nacht an: Die Neujahrsnacht. Das neue Jahr wartet hinter der Datumsgrenze.  Noch liegt alles im Dunkeln.

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