×

Der Entsorger

04.11.18 - 04:30 Uhr
SYMBOLBILD YANIK BÜRKLI

In dieser Kolumne von Pesche Lebrument gehts um nichts Besonderes. Einfach Leben.

Kühlschränke, Heizungsrohre, Velorahmen. Ineinander gestapelt liegen sie in grossen Containern auf dem Werkhof. Alles gehört hier zum alten Eisen.

Der Mann mit der Dachkappe kommt auch heute. Er stemmt sich am Metallcontainer hoch und steigt hinein. Wer ist der Wühler? Handwerker, Hobby-Flicker, Metallkünstler, Selbstversorger? Ich stehe erhöht beim Papiercontainer und schaue auf ihn herab. Er sieht kurz zu mir hoch. Wahrscheinlich denkt er gerade, was ich mir gerade denke.

Ich werfe meine Zeitungen in den Container. Schlagzeilen liegen begraben unter einem Berg voller Nachrichten ohne Neuigkeiten. Auf dem grossen Haufen entsorgter Geschichte sticht mir ein knitterfreies Kuvert ins Auge. Ich kenne diese grauen Briefumschläge, es sind ungeöffnete Abstimmungsunterlagen. Jemand hat hier seine Stimme abgegeben.

Ich stolpere und lande weich. Auf dem Kartonschachtelberg sind schon mehrere Lawinen hinabgegangen. Überall verstreut liegen Verpackungen von Online-Warenhäusern. Unfassbar, wie viel Pizza die Menschheit verdrückt.

Der Wühler wühlt hörbar. Immer wieder stemmt er Dinge in die Luft. Wann wird aus Eigentum eigentlich herrenloser Besitz? Wem gehört der Müll?

Der Werkhof liegt auf meinem Arbeitsweg.  Oft komme ich hier vorbei, denn bereits am Morgen stehen sie an der Haustüre Spalier: Zeitungsbündel, Kartonstapel, Glasgebinde. Ich bin der Entsorger.  

Ich versuche alles gleichzeitig mitzunehmen.  Sie klemmen an Händen und unter Armen. Zeitungsbündelschnüre schneiden in Finger, etwas Karton fällt zu Boden.  Mit Zwergenschritten nähere ich mich dem Parkplatz. Der Abfall kommt im Auto auf den Werkhof.

Mit dem Menschen erwacht der Lärm. Nach dem Aufstehen macht er Müll.

Flaschen klirren, Konserven scheppern. Alle schaffen ausgedientes aus dem Haus.  Der Werkhof ist das Altersheim der Dinge. Alles ausser Dienst gestellt.

Der Mann mit der Dachkappe läuft übers Gelände. Er trägt einen offensichtlich unversehrten Flachbildfernseher wie eine Trophäe. Er schliesst das Gerät an eine Steckdose beim Werkhofgebäude an. Der Fernseher flimmert. Der Wühler sucht offenbar Dinge, die sich zu Geld machen lassen. Nur, wer kauft schon gebrauchte Sachen?

Eine Horde Kinder fährt auf Tretrollern übers Gelände. Neugierig beäugen sie die grossen Behälter, als lägen darin Geschenke. Kinderhände greifen, was sie zu fassen bekommen. Sie behängen sich mit Kabeln als wäre es Schmuck. Bewaffnet mit Leuchtstoffröhren steigen sie Rittern gleich auf ihre Roller und fahren wie auf Streitrossen davon. Dahinter entfernt sich ein Kastenwagen, durch die Scheibe sehe ich den Mann mit der Dachkappe.

Ich bleibe alleine in dieser Landschaft voller Abfallberge zurück und werfe Pet-Flaschen in den Sammelbehälter. Alles, was ich anfasse, wird zu Müll. Die Zeit zerstört ausnahmslos.

Wo kommt das ganze Zeugs überhaupt hin? Ach ja, Wiederverwertung, irgendwo. Ich steige ins Auto und mache mich auf und davon.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.