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Meine Geliebte

14.10.18 - 04:30 Uhr
PIXABAY

In dieser Kolumne von Pesche Lebrument gehts um nichts Besonderes. Einfach Leben.

Eine Erscheinung unter einer Strassenlaterne. Bildschöne Frau. Sie trägt eine enge Hose, wie man sie nur in diesem Alter tragen kann. Grandioses Gesäss. Zwei junge Männer folgen ihr. Beide starren in ihre Handys.

Ein ‘Ping’ in meiner Hose. Mein Mobiltelefon meldet sich. Unaufgefordert. Schon halt ich das Handy in Händen. Es geschieht ganz von selbst.

Eine Mitteilung erscheint. Mein Telefon erinnert mich an einen Geschäftstermin am nächsten Morgen. Mein digitales Hosentaschenhirn. Das Smartphone ruft mir alle Terminen und Geburtstage ins Gedächtnis. Auch kennt es meine Kontakte besser als ich selbst.

Als ich wieder hochblicke leuchten weit vorne zwei kleine Bildschirme. Vielleicht halten sich die beiden Männer gerade auf Social Media auf. Die Nacht hat die schöne Frau bereits verschluckt.

Bin gleich daheim. Bin todmüde. Ich nehm mein Handy mit ins Bett.

Letzte Woche lag es nicht wie gewohnt neben mir. Es hing nicht am Aufladekabel. Keine Verbindung, einfach abgehängt. Ich erinnerte mich, das Handy im Geschäft vergessen zu haben. Ich stieg in Hose und Auto und holte es noch zu später Stunde. Ohne mein Gerät zu sein erinnert mich an das Gefühl keine Zigaretten zu haben, zu Zeiten als ich noch rauchte.

Im Bett spreche ich Hochdeutsch und deutlich in mein Handy: «Wecke mich um 7 Uhr». Umgehende Antwort des Geräts: «Ok, ich habe einen Wecker um 7 Uhr für Dich gestellt». Wir sind per Du. Der Stimme nach ist mein Gerät eine Frau. Wenigstens sie hört auf mein Kommando.

Keines meiner Einschlafrituale gelingt. Ich wälz mich hin und her. Früher griff ich zu Schlaftabletten, heute zum Handy. Blick in den Briefkasten. Mein E-Mail-Postfach erweckt den Anschein, dass ich selbst zu später Stunde sehr gefragt bin. Anschliessend lese ich die letzten Schlagzeilen des Tages. Obwohl, irgendwo ist immer Tag auf dieser Welt.

Jetzt läuft Einschlafmusik. Mit dem Telefon steuere ich meine Stereoanlage. Doch der Schlaf kommt nicht. Wieder blättere ich im Internet. Daumen scrollen, Finger zoomen. Ich rufe eine Videoplattform auf. Sie unterbreitet mir Vorschläge von Verschwörungstheorien bis hin zu Volkshochschulkursen. Erwartungsvoll klicke ich ein Schlafhypnosevideo an.

Mein Handy ist mein Traumgerät. Es ist Radio, Fernsehen, Kamera, Navigations- und Diktiergerät, Schreibmaschine, Taschenrechner und Universalbibliothek.  Es kann sogar Erotik. Und mehr. Seit ich mein Handy in der Hosentasche trage, trage ich keine Uhr mehr. Es vertreibt mir meine Zeit.

Es lässt mich nicht schlafen. Auch das Schlafhypnosevideo nicht. Ich geh ins Badezimmer, mein Telefon leuchtet mir den Weg. Ich surfe sitzend. Eine Werbung poppt auf. Sie wirbt für ein Mittel gegen Blasenschwäche. Ich könnte es mit einem Klick bestellen. Mit meinem Handy kann ich selbst vom Klo aus einkaufen.

 Zurück im Bett spiele ich ein Spiel. Mein Handy spielt immer mit mir. Auch ohne Anrufe lässt es mich nie alleine. Das Gerät generiert Gesellschaft. Beim Spielen erringe ich virtuelle Siege bis mich der Schlaf überwältigt.

Morgen. Mein Handy brummt und strahlt gleichzeitig. Weckalarm. Es ist 7 Uhr. Den Kaffee leere ich zusammen mit dem Briefkasten. Anschliessend lese ich die ersten Meldungen des Tages. Spontanes Schmunzeln. Online stolpere ich über einen Spruch: «Handy brumm ergo sum.»

Als ich hinaus auf die Strasse trete, verschanzt sich die Sonne hinter Wolken. Menschen auf dem Weg zur Arbeit laufen gebückt ihren Handys hinterher. Ein Starren durch die Wirklichkeit auf die Faszination hinter Glas.

Mein Blick fällt auf eine junge Frau.  Die enge Jacke zeichnet ihren Körper nach. Sie spricht in das Kabel, das aus ihren Ohren hängt. Ich glaube, das ist die Erscheinung von gestern Abend. Da! Ein ‘Ping’ in meiner Hose.

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