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Das Konzert

16.09.18 - 04:30 Uhr
PIXABAY

In dieser Kolumne von Pesche Lebrument gehts um nichts Besonderes. Einfach Leben.

Gemurmel im Gewühl. Abendkleider schieben sich seitwärts durch die Sitzreihen, hoch oben befüllen sie die Balkone. Zum Ambiente im noblen Konzertsaal trägt auch mein Anzug bei. Den trag ich auch zu Hochzeiten. Und Geschäftsanlässen.  Und bei Beerdigungen. Notenständer stehen stramm vor einem Heer leerer Stühle vorne auf der Bühne. Kontrabässe und Celli liegen in Seitenlage, wie wenn sie schlafen würden.

Ich könnte jetzt zu Hause sein, nichts tun oder gar schon schlafen. Schon vor Wochen warb meine Freundin für dieses Konzert und meine Begleitung. Berühmter Komponist, bekanntes Orchester. Ich müsse mich entscheiden, sonst seien alle Karten ganz schnell weg. Für meine spontane Zusage bekam ich einem Kuss. Im Gegenzug bestand ich allerdings darauf sie einzuladen. In den folgenden Tagen beschrieb sie mehrmals, welches ihrer eleganten Abendkleider sie zum Konzert tragen werde. Dabei musterte sie mich jeweils von Kopf bis Fuss. 

Das Eintrittsticket lotst mich zum nummerierten Sitz. Mein Bauch nimmt Platz auf meinen Beinen, ich knöpfe meinen gebügelten Anzug auf und lasse ihn frei. Aufgeregt mahnt der Gong zur Eile. Das Saallicht verstummt zusammen mit dem Gemurmel. Einzug des Orchesters. Zahmer Anfangsapplaus. Ein verspätetes Paar drückt sich mit geflüsterten Entschuldigungen durch meine Sitzreihe. Sie zwingen mich aufzustehen. Ich lächle ihnen freundlich zu, bevor meine Gesichtsmimik wieder in sich zusammenfällt. Sie setzen sich unmittelbar neben mich.

Der Stab des Dirigenten verharrt hoch oben in der Luft.  Stille.  Spannung. Die Ruhe vor dem Spiel. Eine traurige Oboe beginnt. Sanft fallen Streicher von der Seite ein. Von hinten höre ich ein Flüstern. Eine Frauenstimme tuschelt, dass ihr Mann hier vorne mitmusiziere. Fagott, dritte Reihe, elfter von links. Ich versuche ihn ausfindig zu machen, doch ich muss immer wieder zum Sitznachbarn schielen. Sein Finger steckt in der Nase, wie der Daumen im Munde eines Kleinkindes. Dort verharrt er auch noch nach der Ouvertüre.

Plötzlich - mit einem Schlag - haut die Nebenfrau meinem Sitznachbarn die Fingerhand aus der Nase. Er sieht nicht zu ihr hin. Gesenkt blickt er auf seinen Bohrfinger. Ich blättere betreten im Programmheft und falte Flieger aus unseren Tickets.

Pause. Pinkeln. Für Prosecco reicht es nicht. Die Konzertbar wird belagert. Unverschämte Preise. Erneut mahnt der Gong zur Eile.

Im weiteren Verlauf des Konzertes riecht es nach Prosecco und verdauten Häppchen. Der Dirigent bewegt sich elastisch, wie flüssige Musik. Bogen schweben über Saiten, ein Glockenspiel hüpft über die Takte der Trommeln. Die Augenbrauen meiner Freundin zucken unmerklich. Sie umklammert sich selbst mit beiden Armen. Ich glaube, die Musik hält sie gefangen. Ich frage mich gerade, wie die Frau mit den langen Haaren über der Rücklehne wohl von vorne aussieht.

Der letzte Akt. Der letzte Ton. Warum klatscht denn keiner? Ich applaudiere bestimmt nicht als erster. Hinter mir tönt ein einsames paar Hände, vermutlich die Frau des Fagottisten. Sie löst eine Massenbewegung aus. Akustische Anerkennung ergiesst sich wie aus einer Schleuse über das Orchester. Berührende Begeisterung, wie es nur Menschenmassen erzeugen können. Nun klatsche auch ich kräftig mit. Aufstand im Publikum. Erheben zum Dank. Das Pärchen neben mir läuft eilig aus dem Saal. Sie wollen wohl dem drohenden Garderobengedränge entkommen. Das Publikum klatscht noch immer. Die Musiker setzten sich wieder. Auch alle anderen setzen uns wieder. Zugabe. Toll.

Beim Hinausgehen schmiegt sich meine Freundin an meinen Arm und sieht mich zufrieden an. In ihrem Lächeln liegt die Frage, ob ich das Konzert auch so grossartig fand. Ich setze mein sanftes Gesicht auf und lächle liebevoll zurück.

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