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Passepartout

12.08.18 - 05:02 Uhr
FLICKR/eurok

In dieser Kolumne von Pesche Lebrument gehts um nichts Besonderes. Einfach Leben.

Die Sonne schläft noch hinter Palmen. Trotzdem sind wir schon wach. Ich und meine Freundin. Behängt mit Taschen und Tüten rolle ich Koffer um Koffer aus dem Hotelzimmer. Sie: «Hämmer alles?» Ihre scheinbare Frage ist in Wirklichkeit eine Drohung: «Falls miar öppis vergässa händ, bisch du tschuld!» Ich krieche unters Bett, durchsuche alle Schubladen, durchkämme den Safe, selbst hinter den Vorhängen sehe ich nach. «Han überall gluagt», versichere ich verschlafen. 

«No, nothing from the Minibar», mit diesen Worten verabschiede ich mich. Tschüss Hotel, adieu Sandstrand. Schön sind diese vierzehn Ferientage gewesen. 

Scheinwerfer glühen durch die Dämmerung. Der Bus zum Flughafen verschluckt auch die Gäste der umliegenden Hotels. Langsam legt sich Licht über die Landschaft. Die Fenster blicken hinaus in die Fremde. Exotische Pflanzen, Gebäude und Gesichter. Ein wenig sind sie mir vertraut geworden.

Je näher der Flughafen, desto dichter der Verkehr. Velos stopfen die letzten Ritzen der Blechlawine. Ein Kind mit Korb, das Mädchen verkauft vorbeirollenden Fahrern Frühstücksbrote. Männer reinigen Autoscheiben. Jeder versucht, irgendwie über die Runden zu kommen. Auch hier ist Leben.

Ankunft zum Abflug. Unsere Koffer gleiten auf Bändern davon. Wir stehen still. Lange Schlange vor der Passkontrolle. Ich folge den Bändern auf Ständern. Sie ordnen die Menschen. Die Bänder führen im Zickzack zum Ziel. Immer wieder begegne ich den gleichen gähnenden Gesichtern. Ganz weit vorne seh ich Beamte in Boxen. Der eine zuckt ständig mit der Schulter, der andere wippt rhythmisch mit dem Kopf. Käfighaltung. Sie sitzen da wohl schon seit Stunden. 

Grün, Blau, Pink, Schwarz. Herunterhängende Hände halten verschiedenfarbige Pässe. Die Welt ist bunt. Meinen roten Pass trage ich weitherum sichtbar mit unsichtbarem Stolz. Er ist Passepartout für beinahe alle Staaten. Andere Pässe passen nirgends. 

Schalter in Sicht. Ich klappe meinen Ausweis auf, den Daumen direkt beim Passbild. Gehorsam strecke ich ihn dem Beamten hin. Meine Lippen versuchen ein Lächeln. Eine Maschine scannt das Dokument, ein heller Schein huscht über biometrische Daten. Fälschungssichere Menschen. 

Der Beamte sieht mich kaum an. Hat er mein Gesicht überhaupt mit dem Foto verglichen? Er hat mich mehr ignoriert als überprüft. Er sagt nicht Auf Wiedersehen. Er hält mir einfach meinen Pass hin. Seine Schulter zuckt. Ich passiere. Er starrt stier zur Seite. 

Ich habe noch etwas Feriengeld in der Tasche. Das Sandwich ist eine Spur zu teuer, der kleine Bagel liegt noch drin. Aber ich mag keine Bagel. Eigentlich brauche ich gar nichts. Doch was soll ich sonst mit dem gewechselten Geld anfangen? Zu Hause habe ich schon eine übervolle Schatulle mit Münzen und Scheinen vieler Reisen. Einige dieser Währungen existieren schon länger nicht mehr. Das bisschen Kleingeld in meiner Hand reicht noch genau für diesen verzierten Schlüsselanhänger.

Die Flieger verteilen die Menschen auf ihre Länder. 

Zu Hause wartet die Arbeit, es lauern der Zahnarzt und bald auch die Kreditkartenabrechnung dieser Ferien. Ich packe aus. Erinnerungen liegen zwischen Schmutzwäsche. Ich lege meinen Pass an seinen Platz. Meine Freundin vermisst ihre schönen Turnschuhe. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich sei schuld. Zum Trost schenke ich ihr den Schlüsselanhänger. Eingraviert ist eine Abbildung unserer Ferieninsel. Wo ist mein Ladekabel? Und wo meine Badehose? Wenigstens etwas von mir ist im Paradies geblieben.

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