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Zeitreise

29.07.18 - 10:00 Uhr
PIXABAY

In dieser Kolumne von Pesche Lebrument gehts um nichts Besonderes. Einfach Leben.

Weckerlos erwacht. Wieder einmal. Wunderbar! Lange bin ich im Hotelbett gelegen. Der Schlaf hat sich wie von selbst weggeschlichen. Ich wälze mich in Daunen. Wenn die Menschen in diesem Land ebenso pünktlich sind wie in meinem, dann ist das Frühstücksbuffet schon längst abgeräumt.

Blick auf die andere Bettseite. Meine Freundin öffnet gleichzeitig Augen und Mund. Tagesaktivitätsbesprechung. Sie will einkaufen, ich will einen Kaffee. Sie will shoppen, ich will an den Strand. 

Selbst die Sonne röchelt unter der Hitze im Einkaufsviertel. «Wia findsch?», fragt meine Freundin. Jetzt erst sehe ich, dass sie sich einen Sonnenhut aus dem Souvenirgeschäft aufgesetzt hat. Ich würdige ihre Kopfbedeckung mit einem knappen «Mah». Vergeblich sucht sie einen Spiegel. Ich fotografiere sie mit der Haube auf ihrem Haar. Sie betrachtet das Bild auf dem kleinen Kamerabildschirm. Ihren Kopf neigt sie dabei leicht zur Seite. Ich weiss, sie wird den Hut kaufen. 

Nirgends hängen Preisschilder. Die Verkäuferin nennt eine Zahl. Der Preis ist sehr tief und doch eine Frechheit für diesen Erdteil. Die Verkäuferin trägt ein Baby auf der Brust. Ich krame Banknoten hervor, ich möchte meine Freundin einladen. Ein Kleinkind schläft mitten im Laden auf einer dünnen Matte. Ich bezahle den geforderten Preis und verzichte aufs Wechselgeld. Wertlose Münzen beulen schon jetzt meine Bauchtasche aus.

Im Tempo eines jemands, der nichts vor hat, laufe ich durch unbekannte Strassen. Bei Einheimischen bin ich ein begehrter Ansprechpartner: «Sightseeing, Transportation, Pizza, Pizza». Aus einer Seitengasse hör ich ein geflüstertes «Haschisch». Seh ich so aus? Zudem kenne ich die Gesetze dieses Landes nicht. «Mista, Mista! Excuse me, hallo, sorry, where are you from …» 

Ich flüchte mit meiner Freundin in ein Restaurant. ‘Happy Hour’ bereits am Mittag. In diesem Land ticken die Uhren anders und das liegt nicht nur an der Zeitverschiebung. Auf der Terrasse nehme ich zu meinen Kaffee etwas Milch und Spaghetti Bolo. Hatte kein Frühstück. 

Anruf von zu Hause. Sicher gelandet. Allen gehts gut. Tolles Wetter. Daheim nichts Neues. Nein, bei uns ist es schon Mittag. Ja, Anrufe ins Ausland sind teuer. Die Spaghetti schmecken nicht. Auf der anderen Strassenseite liegt ein Mann ohne Bein. 

Am Nebentisch nimmt ein plauderndes Pärchen Platz. Meine Freundin und ich sehen uns ungläubig an. Sofort stellen wir unser Gespräch ein. Landsleute! Ausgerechnet hier am anderen Ende der Welt. Ich verstehe jedes Wort: «Isch das es Puff i dere Stadt.» Mir bleibt die Sprache weg.  Ich bin doch nicht Tausende Kilometer gereist, um mich hier wie zu Hause zu fühlen. Es ist, als würde ich aus dem Urlaub gerissen. Flüsternd fordere ich meine Freundin auf, aufzustehen. Beiläufig lege ich Banknoten und einen Berg Münzen aus der Bauchtasche auf den Tisch. Sie tarnt sich mit ihrem neuen Hut. Wir entkommen unerkannt. 

Abends im Hotel. Meine Freundin zieht sich um. Ich erkunde das grosse Gebäude. Neben der Cocktailbar entdecke ich eine Schmuckboutique. In der Auslage liegen Armbanduhren. Bekannte Marken aus der Heimat. Stummes Staunen. Ich wundere mich immer wieder, dass mein kleines Land in den fernsten Winkeln der weiten Welt präsent ist.

Meine Gedanken führen zurück zu heute Mittag. Mittlerweile glaube ich zu wissen, warum mich die Plauderei des Pärchens in vertrauter Sprache dermassen irritierte. Sie erinnern mich an mein Leben zu Hause, da, wo Alltag funktioniert. Ich bin bünzli, oft genug. 

Die Uhrzeiger im Schaukasten springen. Ich muss mich beeilen. Mit meiner Freundin habe ich zum Nachtessen abgemacht. Ich will nicht unpünktlich sein. 

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