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Körper machen Leute

22.07.18 - 04:30 Uhr
PIXABAY

In dieser Kolumne von Pesche Lebrument gehts um nichts Besonderes. Einfach Leben.

Das Meer glitzert wie gebogenes Wellblech. Am Strand summen Menschen zwischen zwitschernden Vögeln. Lachen und gute Laune in den Gesichtern. Touristen auf Tüchern hinter Büchern, Sonnenbrillen und Augendeckeln. Träumen am Traumstrand. 

Dabei begann der Tag mit einem Albtraum. Sie kamen mitten in der Nacht. Überfall im Tiefschlaf. Heimtückische Attacke. Meine aus der Hotelbettdecke ragenden Beine wurden völlig verstochen. Verdammte Moskitos. Die Balkontüre stand die ganze Nacht offen. Die lautlosen Angreifer sind zusammen mit dem Meeresrauschen eingedrungen. 

Der Sand glüht, das Meer kühlt. Meine Freundin wagt sich ins Wasser. Ich bleibe Beine kratzend beim Badetuch zurück. Ein Strandhändler läuft durch die Reihen. Ganz in meiner Nähe bleibt er stehen und sieht sich nach Käufern um. Er ist beladen mit allerlei Kleidern und Taschen bekannter Marken. Prada, Gucci, Louis Vuitton. Auf den ersten Blick scheint alles echt. Doch die Leimspuren und schlecht genähten Nähte fallen selbst mir auf. Der Schein zählt – zu jedem Preis.  

«Genau wie ich trägt er Strohhut, Shirt und Sonnenbrille. Den identischen Touristen-Tarnanzug. Es ist, als begegnete ich mir selbst.»

Ich überblicke den Strand. Unverhüllte Menschen überall. Der Körper wird zum Kleid. Lose Leiber liegen auf Liegestühlen, Bäuche baumeln aus Badehosen. Greise Gestalten und fitte Figuren vereint am Ufer. Ausstellung der Körperwelten. 

Eine in knappem Stoff gehüllte Verführung zieht an mir vorbei. Ihr voraus geht ihr wuchtiges Dekolleté. «Dia sind sicher nit echt», meint meine Freundin. Erst jetzt bemerke ich, dass sie tropfnass neben mir steht. Sie bespritzt mich mit Wasser, das sie aus ihren langen Haaren wringt. Dann drückt meine gertenschlanke Freundin ihre Finger in meinen Nacken: «Bisch icremt?» Autsch, nein, bin ich nicht. Nicht überall. Mein Hals ist so rot wie meine aufgekratzten Beine. 

Um mich vor der Sonne zu schützen, ziehe ich mein Shirt an. Ein Mann sticht mir zusammen mit der Sonne ins Auge. Gleiche Gestalt, ein bisschen beleibt. Genau wie ich trägt er Strohhut, Shirt und Sonnenbrille, den identischen Touristen-Tarnanzug. Es ist, als begegnete ich mir selbst. Was er wohl zu Hause trägt? Arbeitsjacke oder edlen Zwirn? 

Abendessen. Buffetbetrieb. Rindsfilet, Ravioli und Rahmgulasch – alles landet gleichzeitig auf meinem Teller. Gehäufte Gelüste und doch irgendwie seltsam. Dieses Allerlei würde ich zu Hause nie gleichzeitig auf einen Teller laden. Ich fülle die letzten Lücken mit Spaghetti, als die Dame mit dem geräumigen Dekolleté den Saal betritt. An ihrer eleganten Abendkleidung baumelt eine Louis-Vuitton-Tasche. Auf den ersten Blick scheint alles echt. 

Meine Freundin stand doch eben noch neben mir. Wo ist sie? Was trägt sie eigentlich? Ich überblicke den Saal. Hemden, Blusen, Trägershirts, alles durcheinander. Nie weiss ich, was meine Freundin anhat. Vielleicht liegt es daran, dass ich sie in- und auswendig kenne.  
 
Zurück im Zimmer. Das kulinarische Durcheinander liegt mir im Magen und ich im Bett. Mein Bauch beult sich. Unbewusst klatscht meine Hand gegen meinen Unterschenkel. Widerliche Moskitos. Wenigstens interessieren diese verfluchten Viecher weder Kleider noch Körper, nur, was darunter verborgen liegt.

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