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Superkräfte

Karin
Hobi-Pertl
14.12.17 - 13:44 Uhr

Karin Hobi-Pertl ist zweifache Mutter und «nebenbei» noch Autorin. Seit ihrer Jugendzeit schreibt sie - aus Leidenschaft und Berufung. In ihrem Blog berichtet sie über Mutterfreuden, Perfektionismus und was das Muttersein noch so mit sich bringt.

Ich staune tagtäglich über meine neu entwickelten Superkräfte, die wohl bei den Geburten meiner Kinder gratis und franko mitgeliefert wurden. Wenn ich beispielsweise daran denke, dass ich an und für sich kein Blut sehen kann, mich aber innert kürzester Zeit quasi zur Samariterin und Nothelferin entwickelt habe, erkenne ich mich selbst nicht mehr. In brenzligen und blutigen Situationen bleibe ich ruhig und leiste bei meinen beiden Kids erste Hilfe, ohne mit der Wimper zu zucken. Äusserlich zumindest. Ein Pflästerchen hier, ein Verband dort, desinfizieren, Blut abtupfen - als hätte ich das mein Leben lang getan.

Ich bin inzwischen auch viel stärker. Nicht unbedingt nervlich, aber immerhin stark wie ein alles schleppender Esel. Eine schwere Einkaufstüte in der einen Hand, meinen knapp eineinhalbjährigen Sohn im Arm (am anderen Arm hängt noch eine weitere, mehrere Kilo schwere Tasche), die Wickeltasche umgehängt und den beladenen Buggy vor mich herschiebend: So befördere ich alles heim. Meine Tochter versuche ich vergeblich dazu zu animieren, mir doch bitte rasch die Tür zu öffnen. Aber ich bin ja schon mal froh, liegt sie nicht schreiend auf dem Boden, weil sie ebenfalls getragen werden will.

Und wo wir schon beim Thema sind: Ich bin Animatorin. Nicht oft erfolgreich, aber ich übe mich tagtäglich darin. Zieh dich doch bitte an. Putz dir doch bitte die Zähne. Trink mein Kind! Iss! Aufräumen! Neeeein, nicht einschlafen! Es ist bereits fünf Uhr!! Bitte schlaf jetzt endlich, es ist bereits acht Uhr. Ich habe wohl mein Leben lang noch nie so viel gesprochen während der «Arbeit». Dafür wurde mir aber auch noch nie so wenig zugehört. Mir wurden auch mein Leben lang noch nie so viele Fragen gestellt. Seit kurzer Zeit bin ich nämlich alles-wissend. Für meine Kinder auf jeden Fall. «Mamma, wer wohnt in diesem Haus da drüben?» ist noch eine der einfacheren Fragen. Ich bin aber keinen Deut besser: «Hast du Hunger?», «Durst?», «Frierst du?», «Musst du Pippi?». Also dass ich damit meiner eigenen Tochter manchmal auf den Wecker gehe, kann ich gut verstehen. Frage ich aber nicht, dann habe ich den Salat. Schreiende, frierende, hungrige Kinder oder nasse Wäsche. Aber macht ja nichts. Ich bin nämlich nicht nur ständig am Haushalten, sondern übe mich grad intensiv im Aushalten. Denn damit habe ich – so ganz unter uns gesagt – oftmals meine Mühe. Stundenlangen permanenten Lärmpegel finde ich nicht immer gut erträglich. Besonders jetzt im Winter. Denn ich bin nicht grad ein Schneehase, dem die kalten Temperaturen nichts anhaben können. Das heisst: Wir sitzen jeden Tag mehrheitlich drinnen. Stundenlang. Jammern. Streiten. An den Haaren reissen. Übermütig alle Schränke aufreissen. Alles rausreissen. Und alles um sich schmeissen. Glücklicherweise ist bald Weihnachten, denn ein Pamir steht ganz oben auf meiner Wunschliste.

Sammlerin. Aufsammlerin. Das bin ich auch. Das tue ich auch. Den ganzen Tag. Denn nichts, was erreichbar oder nicht eingeschlossen ist, ist sicher vor dem Kleinen. Ich gehe durch unsere Wohnung und sei es noch so eine kurze Strecke, die ich zurücklege: Ich sammle ein. Ich hebe auf. All das, was mir in die Quere kommt, herumliegt, an meinen Socken hängenbleibt oder über das ich gerade gestolpert bin. Das Telefon im Badezimmer. Das entrollte Klopapier auf meinem Bett. Meine Fusscreme auf dem Küchenboden. Das Spielzeugauto neben meinem Bett. Ich sammle auf und lege zurück. Aufheben. Zurücklegen. Aufheben. Zurücklegen. Heute. Morgen. Jeden Tag.

Und manchmal denke ich zurück an die Tage, an denen ich ausgeschlafen, mit meinem Spiegelbild mehr oder weniger im Reinen, auf hohen Absätzen und in engsten Jeans durch meinen Alltag ging. Pausen machte. Mich fragte, ob ich nach Feierabend um HALB SECHS lieber noch was trinken und essen gehen oder zu Hause die Füsse hochlagern möchte. An denen ich abends ins Bett ging und wusste, dass ich bis morgens durchschlafen darf. Heute schaue ich in den Spiegel und entdecke eine neue Frau. Mit müden Augen. Schmutzigen Turnschuhen vom letzten Waldspaziergang. Mit Löchern in den Jeans. Ich sehe eine Frau, die nach regelmässigem Schlafentzug, pausenlosem Helfen, Hunderten von Kilos heben, reden, aushalten und aufsammeln manchmal am Rande des Wahnsinns steht. Und die selber sowas von getragen wird. Getragen von der stärksten Superkraft überhaupt. Einer, die mich und meine Kinder auch an strengsten Tagen zusammenhält und verbindet. Der Liebe. Der Mutterliebe. Danke dafür.

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