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Wenn die Masken aufgesetzt werden

Single
Böckin
21.10.20 - 16:58 Uhr
SYMBOLBILD PIXABAY

Bau ein Haus, pflanz einen Baum, mach ein Kind – dass dieser Lebensentwurf nicht zwangsläufig auf jeden Menschen zugeschnitten ist, beweisen die anonymen Liebesbriefe ans wunderschöne, elende Single-Leben. Ein Hoch auf Selbstgespräche, Dosen-Ravioli und Liebeleien.

Ich besuche seit Februar keine Clubs mehr und habe mich auch generell von geschlossenen Räumen mit vielen Menschen ferngehalten. Covid-19 sei Dank. Dass damit das Kennenlernen von neuen Leuten schwieriger wurde, ist nichts Neues. Letztens habe ich es dann aber doch mit meinem Gewissen vereinbaren können, eine Lesung zu besuchen. In den Minuten vor dem Beginn der Veranstaltung, ist mir dann eine Erkenntnis gekommen, die mich doch ein wenig amüsierte.

Maskenpflicht herrscht zu dem Zeitpunkt, an dem ich diese Zeilen tippe, noch nicht und doch habe ich mich aus freien Stücken an diesem Abend entschieden, eine zu tragen. Mit der Zeit hat sich dann auch der Raum gefüllt und immer mehr Halbgesichter mit Masken sind aufgetaucht. Unter normalen Umständen, wären meine Augen über die versammelten Personen gewandert und unterschwellig hätte ich nach jemandem Ausschau gehalten, den man «per Zufall» an der Bar treffen könnte. Das Feld im Vornerein ein bisschen abchecken, ihr wisst schon.
Aus reiner Gewohnheit nahm ich also auch jetzt die Menschen unter die Lupe und erst nach einigen Minuten wurde mir bewusst, dass irgendetwas anders war. Also klar, die Menschen trugen Masken, aber das ist mittlerweile fast schon Normalität. Viel erwähnenswerter fand ich den Fakt, dass ich, dadurch, dass ich bloss die Hälfte des Gesichts sah, mir die Untere ausmalte. Ich wusste ja nicht, wie die Menschen aussahen, da ich sie nie zuvor gesehen hatte und doch hat mein Hirn ein «ganzes» Gesicht gesehen. Eines, das so wahrscheinlich aber nicht existiert.

Theoretisch ist es also eine Art «Mystery-Dating». Du kriegst eine kleine Vorschau von dem, was dich erwartet. So quasi das Grundgerüst der Person mit dem zusätzlichen Element der Überraschung. Viele machen ja oft die Oberflächlichkeit für ihr gescheitertes Liebesleben verantwortlich (ich übrigens auch) und ganz ehrlich, ich find den Gedanken, das Aussehen des Gegenübers im ersten Moment nicht ganz zu kennen, ganz reizvoll. Der Fokus liegt hierbei mehr auf den Worten und dem Gefühl, das einem die Person gibt. Mehr Aufmerksamkeit muss man einander mit Maske wohl auch schenken, denn die Mimik lässt sich bloss anhand der Augen ablesen. Aber hey, direkter Augenkontakt gehört noch immer zu den attraktivsten Flirtmethoden.

Ich habe mich zwar an diesem Abend mit niemandem wirklich intensiv unterhalten und konnte meine Theorie nicht austesten, aber sollte sich die Gelegenheit nochmals bieten, versuch ich das Ganze vielleicht mal. Nicht zuletzt, weil ich neugierig bin, wie gut mein Hirn darin ist, Gesichter zu vervollständigen. Ich war an diesem Abend nämlich mehr als einmal überrascht, als die Masken abgelegt wurden, um kurz etwas zu trinken oder zu essen. Zudem wärs eine richtig grossartige Geschichte, die man erzählen könnte, wenn man gefragt wird, wie man sich kennengelernt hat. Eine neue Art von Dating, geboren aus der Not. Anstatt, dass man sich wünscht, dass der Partner all seine Masken ablegt, lautet das Credo neu: Masken auf. Ihr schützt euch und alle anderen und die Dinge werden gleich interessanter.

Passt auf einander auf!

Eure Singleböckin

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