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Kommt der analoge Prinz aus dem Engadin?

Single
Böckin
09.07.18 - 04:30 Uhr

Bau ein Haus, pflanz einen Baum, mach ein Kind – dass dieser Lebensentwurf nicht zwangsläufig auf jeden Menschen zugeschnitten ist, beweisen die anonymen Liebesbriefe ans wunderschöne, elende Single-Leben. Ein Hoch auf Selbstgespräche, Dosen-Ravioli und Liebeleien.

Vergangene Woche staunte ich nicht schlecht, als ich einen Brief mit der Anschrift «Single Böckin» bekam. Was würde mich wohl erwarten? Ich dachte, dass ich entweder harsche Kritik an meinen Beiträgen oder ein anrüchiges Foto fürchten müsste. Auf drei A4-Seiten erklärte mir der Herr jedoch, was er an meinen Beiträgen schätzte und was er von der digitalen Liebessuche hielt. Ich las gespannt, was der Herr aus dem Engadin – dies lässt zumindest der Poststempel vermuten – mir zu sagen hatte.

Zunächst war ich noch etwas irritiert, dann jedoch sehr erfreut. Schon lange hatte sich niemand mehr die Mühe gemacht mir handschriftlich seine/ihre Gedanken zu formulieren. Offenbar haben wir dieselbe Einstellung in Sachen digitales Dating. Ansonsten weiss ich noch nicht sehr viel über den «analogen Prinzen aus dem Engadin».

Ist er überhaupt ein Prinz? Wie alt ist er? Wie sieht er aus? Würde er mir gefallen? Und vor allem, wie heisst er? Vor allem letzteres ist mir noch ein grosses Rätsel. Der Herr hat nämlich weder Name noch Anschrift hinterlassen.

Nun, wie weiter? Hab ich nun neuerdings via diesem Blog eine Brieffreundschaft? Schreibt mir der geheimnisvolle Mann nochmals? Irgendwie spannend, dass man im Jahr 2018 nicht einfach auf Facebook oder Instagram gehen kann und bereits – zumindest gefühlsmässig – alles über die andere Person weiss.

Früher musste man noch Passfotos anfragen und konnte erst dann den Freundinnen zeigen, wie die neue Flamme aussieht. Zudem musste man tatsächlich noch Fragen, was für Interessen das Gegenüber hat und konnte dies nicht einfach aus den Infos eines sozialen Netzwerkes rauslesen. «Das Internet vergisst nie» – dieser Satz trifft bestimmt zu, aber noch viel wichtiger: Das Internet verrät ganz schön viel und nicht immer stimmt, was man meint zu erfahren.

Aber ich will hier über niemanden urteilen. Schliesslich gehöre ich in diesem Fall zu genau diesen Frauen, die selbst gerne Facebook- und Instagram-Profile durchstöbert. In diesem Falle würde ich mich aber über mehr Informationen in schriftlicher Form, auf weissem Papier und in blauer Tinte freuen, lieber «analoger Prinz aus dem Engadin».

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