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Die Skipiste nach St. Moritz-Dorf

Hans Peter
Danuser
28.05.19 - 04:30 Uhr

Hans Peter Danuser und Amelie-Claire von Platen sind im Engadin zu Hause und zeigen uns ihren Blickwinkel. Was bewegt Land und Leute? Wo ist das Engadin stark und wo hinkt es einzelnen Mitbewerbern hinterher? Und was geschieht auf politischer Bühne? Der Blog «Engadin direkt» berichtet persönlich und authentisch.

Für ein Dorf auf 1856 m ü. M. hat St. Moritz viel erreicht: Geburtsstätte des alpinen Wintertourismus und -sports, die einzigen Olympischen Winterspiele der Schweiz, fünf Alpine Ski-WMs und weltweite Bekanntheit für Qualität und Extravaganz in Sachen Bergferien. Wie überall gibt es aber auch in San Murezzan Bereiche, die schlecht oder gar nicht gelöst sind. So gehört etwa die Mineralquelle im Bad, die als eigentlicher Ursprung von St. Moritz eine fast 3500 Jahre lange Heiltradition aufweist, nicht mehr der Gemeinde, sondern russischen Investoren. Und die Skipiste ins Dorf hinunter ist in ihren letzten paar 100 Metern eine Zumutung für jeden Benutzer. Beide Beispiele haben mit der „Color of money“ zu tun, wie die Amerikaner sagen.

Was das betreffend der Dorfpiste heisst, zeigt ein Blick auf das wunderschöne Bild der Oberengadiner Seenlandschaft von W. F. Burger (1912) in der St. Moritz Design Gallery. Vor gut 100 Jahren gab es viele Möglichkeiten, von Salastrains und Chantarella ins Dorf hinunter zu rutschen. Anders als in Zermatt, Lech oder gar Zell am See auf 700 m ü. M. ist heute in St. Moritz dazu nur noch ein Waldweg übriggeblieben, der Rest ist verbaut oder für durchgängige Pisten ungeeignet. Generationen von Gemeindepräsidenten und -behörden haben das Problem gewälzt und vor sich hergeschoben. Mögliche Enteignungen und zweistellige Millionenbeträge standen zur Diskussion. Die Rodung einiger Lärchen zwecks Pistenführung zur Via Somplaz hinunter scheiterte am Widerstand der Anwohner und dem „Geist von Segantini“ in der Baukommission.

Dabei geht es nur darum, den Skifahrern und Snowboardern von Dezember bis April jeweils von 9 bis 17 Uhr auf den letzten paar 100 Metern der Abfahrt eine sichere, komfortable und sturzfreie Möglichkeit zu schaffen, mit Anstand die ca. 30 Höhenmeter ins Dorf hinunter zu bewältigen. Die Diavolezzabahn hat zwei ähnliche Probleme elegant mit schmalen Outdoor-Personen-Förderbändern gelöst: vom RhB-Bahnübergang 80 Meter zur Talstation hinauf und vom Diavolezza-Gebiet/Alp Bondo 250 Meter zur Kantonsstrasse bei der Lagalp-Talstation hinauf: Gesamt-Investition rund 0,5 Mio. Franken. Eine ähnliche Lösung sollte auch abwärts möglich sein.

Dabei steht St. Moritz seit Jahren in engem Kontakt mit einem der weltweit führenden Spezialisten für urbane Mobilität: der Firma Schindler aus Ebikon LU. Sie lieferte und betreut die Rolltreppe des Parkhauses Serletta / St. Moritz Design Gallery, die längste der Schweiz und höchstgelegene dieser Art in Europa – mit über einer Million Benutzern pro Jahr. Ich selbst nutze täglich den 107 Jahre alten Schindler-Lift der ehemaligen Klinik Bernhard oberhalb der fatalen, weil oft vereisten Via Laret zwischen Pistenende und Geronimi Comestibles beim Dorfeingang. Ein vertieftes Gespräch mit den Schindler-Leuten wäre sicher angezeigt. Gesucht ist eine massgeschneiderte, temporär einsetzbare und betriebene Outdoor-Lösung für jeweils vier Monate im Jahr – ohne ganzjährige Beeinträchtigung von Natur und Verkehr. Eine Nutzer-orientierte Lösung ist meines Erachtens hoch prioritär und dringend für St. Moritz. Das alpine Wintergeschäft ist eine wichtige Kernkompetenz von St. Moritz, höchste Qualität und Komfort sind das Versprechen unserer Marke – Top of the World, eben.

Die Dorfabfahrt ist der letzte Eindruck, den ein Gast vom Skitag mitnimmt – und diesen entsprechend prägt. Er wohnt schliesslich in einem der drei weltbekannten Luxushotels oder den anderen ausgezeichneten Häusern im Dorf. Gefühlte 50% der Gäste und Einheimischen dieses Ortsteils sind älter als 50 Jahre und erleben es als Albtraum, mit plastikbesohlten Skischuhen und geschulterten Brettern eine steile Strasse runterzurutschen. Der Waldweg bis zur Stop-Tafel ist sehr romantisch, perfekt präpariert bei idealem, leichtem Gefälle. Umso krasser dann der Schock und die Enttäuschung bei den letzten paar 100 Metern.

Das Manko schlägt sich auch bei den vielbeachteten Bewertungen und Rankings der Skiorte nieder, in denen der Talabfahrt oft hohe Bedeutung zukommt. Auch hier sollte möglichst bald gelten: „St. Moritz kann‘s besser!“

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