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Bella Italia: Leben statt jammern

Hans Peter
Danuser
07.08.18 - 04:30 Uhr
PIXABAY

Hans Peter Danuser und Amelie-Claire von Platen sind im Engadin zu Hause und zeigen uns ihren Blickwinkel. Was bewegt Land und Leute? Wo ist das Engadin stark und wo hinkt es einzelnen Mitbewerbern hinterher? Und was geschieht auf politischer Bühne? Der Blog «Engadin direkt» berichtet persönlich und authentisch.

George Clooney, Hollywoodstar mit Haus am Comersee, beobachtete einige Arbeiter, die bei ihm am Haus etwas reparierten und in seinem Garten Mittagspause machten. «Sie assen Käse, Salami und Brot, tranken Wein und sangen zum Dessert einige Lieder. Diese Italiener haben ein besseres Leben als ich!», wird Clooney in einem Interview zitiert.

Genau diesen Eindruck hatte ich auch, als Freunde uns letzten Sonntag zum 21. Heidelbeerfest (Sargra del Mirtillo) nach Rasura in die Val Gerola mitnahmen. Sie liegt südlich von Morbegno im unteren Veltlin. Anfang Oktober findet dort die  Sagra della Castagna statt, im September weiter hinten im Tal das 50. Käsefest «Sagra del Bitto».

Die Art und Weise, wie die Veltliner dieses Fest feiern, hat mich aus den Socken gehauen. Rasura hat 300 Einwohner und verzeichnete bereits am Samstagabend gegen 2000 Festbesucher. Sonntagmittag genossen mindestens 700 Gäste die Heidelbeerspezialitäten in der luftigen Festhalle und ebenso viele auf den Terrassen draussen: Risotto, Gnocchetti, Ravioli, Ziegenkäse, Hirschpfeffer, Torta, Crostata, Eis, Grappa – alles mit Heidelbeeren. Wir haben ganz blaue Zungen bekommen.

Alles war sehr gut organisiert in lockerer Stimmung, alles patschifig. Maurizio Pezzini vom lokalen Kurverein (Pro Loco) betont, dass solche Anlässe nur dank der einheimischen Voluntari möglich sind und von der ganzen kleinen Bevölkerung mitgetragen werden. Auch die riesige, eigens für diese Art von Festen erstellte Halle konnte auf diese Weise 2007 realisiert und mit bescheidenen Mitteln genial in eine Geländekammer gebaut werden. Auf dem Dach war ein kleiner Markt mit lokalen Spezialitäten, direkt neben dem Festgebäude ist das feine kleine Ortsmuseum und unterhalb einen Kinderspielplatz mit Kletterwand und Tyrolinne betreut von Bergführern.

Nach dem Essen spielte eine Kapelle zum typischen Ballo liscio auf, die Paare schienen regelrecht über das Parkett zu schweben.

Die Stimmung war bestens! Dabei geht es Italien wirtschaftlich und politisch seit Jahren miserabel. Die Mehrheit leidet unter dem Euro und verdient real weniger als vor 15 Jahren. Jeder versucht, mit seiner Situation irgendwie klar zu kommen und dem Leben trotz Abstrichen und Einschränkungen Positives abzugewinnen. Die Heidelbeer-, Käse-, Kastanien-, Pilz- und anderen Feste sind solche Gelegenheiten, im Kreise von Familie und Freunden aufzuleben und zu feiern. Ich habe nicht einen einzigen gehört jammern – ganz anders als in der Schweiz bei solchen Gelegenheiten.

PS: Das Veltlin und seine Seitentäler gehörte von 1512 bis 1797, also fast 300 Jahre, zu den «Untertanenlanden» Graubündens. Während die Schweiz dank Neutralität, Unabhängigkeit und viel Glück seit 1815 ohne Kriege mit anderen Ländern durchkam und sich in den letzten 150 Jahren auch wirtschaftlich sehr robust entwickelt hat, war Italien und damit auch das Veltin in die beiden Weltkriege und zahlreise weitere Konflikte involviert. Wirtschaltich profitierte das Veltlin vom zentralisiert ausgerichteten, krisenanfälligen Italien ungleich weniger als Graubünden von der prosperierenden Schweiz und ihren finanzstarken Kantonen im Mittelland.

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