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Dürrenmatt im «Steinbock»

Hans Peter
Danuser
06.02.18 - 04:30 Uhr
STADTARCHIV CHUR

Hans Peter Danuser und Amelie-Claire von Platen sind im Engadin zu Hause und zeigen uns ihren Blickwinkel. Was bewegt Land und Leute? Wo ist das Engadin stark und wo hinkt es einzelnen Mitbewerbern hinterher? Und was geschieht auf politischer Bühne? Der Blog «Engadin direkt» berichtet persönlich und authentisch.

Drei Begebenheiten veranlassen mich zum heutigen Blog:

Als ich letztens in Chur war, fiel mir auf, dass nun das Gebäude des guten alten Globus tatsächlich weg ist. Ich erinnere mich noch an das legendäre Hotel und Restaurant «Steinbock, das dort vorher zahlreiche Gäste beherbergte.  

Einige Tage später las ich im Zürcher «Tages-Anzeiger» eine Analyse der beiden besten Krimi-Autoren der Schweizer Literaturgeschichte: Friedrich Dürrenmatt und Friedrich Glauser (Ausgabe vom 19. Dezember 2017).

Und in der gleichen Woche empfiehlt mir ein Freund, wieder mal Dürrenmatts Roman «Das Versprechen» zu lesen. Da ich dessen Story nur noch von der Verfilmung in Erinnerung hatte – «Es geschah am hellichten Tag» mit Gert Froebe – las ich den Krimi von 1957 dann tatsächlich über die Festtage. Ich war baff!

Die Geschichte beginnt in Chur, wo Dürrenmatt in den 1950er-Jahren über die Kunst, Kriminalromane zu schreiben, einen Vortrag hält und anschliessend in der Bar des Hotels «Steinbock» den ehemaligen Kommandanten der Kantonspolizei Zürich kennenlernt. Was folgt, ist in der Tat Krimiliteratur vom Allerfeinstern: spannend, überraschend, brillant geschrieben – auf nur 155 Seiten. Dabei spielen Graubünden, sein Wappentier, der Steinbock, und die alte Landstrasse von Chur nach Zürich wichtige Rollen. Dürrenmatt fabuliert wie ein Herrgöttchen, das Lesevergnügen ist trotz des tragischen Inhalts so stark, dass ich mir vornehme, demnächst auch seine vier weiteren Krimis wieder mal zu geniessen: «Der Richter und sein Henker» (1950), «Der Verdacht» (1951), «Justiz» (1958) und «Der Pensionierte» (1995). Dazu dürften – angeregt durch die erwähnte Tagi-Lektüre – Friedrich Glausers «Wachtmeister Studer» (1936) und ein, zwei seiner fünf weiteren Krimis, die er bis 1941 geschrieben hatte, kommen.

Die Tagi-Analyse hat die Krimi-Kunst der beiden Autoren nach allen Regeln des Datenjournalismus computergestützt entschlüsselt, nach den Kriterien Stoff, Methode, Experte, Wortschatz, Stilfrage, Mord, Blut und Blei, Rauchen, Essen (Fressen), Griff zur Pulle, Und jetzt? Fazit: Die beiden Analytiker L. Schöpfer und B Skinner gehen auch der «Suff-Kurve» auf den Grund: Werden alle (11) Krimis in zehn gleich grosse Textabschnitte gegliedert, zeigt sich: Am Ende der Romane kommen bei Glauser wie bei Dürrenmatt Wörter wie Whisky, Schnaps, Wein oder Bier sehr oft vor. Das häufigste Adjektiv in den elf Romanen ist «alt», das meist verwendete Nomen bei Dürrenmatt ist «Mord», bei Glauser «Mann». Dürrenmatts längster Satz enhält 352 Wörter («Justiz»), jener Glauseres deren 100 («Matto regiert»).

Dürrenmatts Krimicredo lautet: «Kunst tun, wo sie niemand erwartet.» Dem ist nichts beizufügen. Ich wünsche viel Spass bei der Lektüre!

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