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Origen inszeniert die Johannes-Passion in St. Moritz

11.04.17 - 10:00 Uhr
Pressebild
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Hans Peter Danuser und Amelie-Claire von Platen sind im Engadin zu Hause und zeigen uns ihren Blickwinkel. Was bewegt Land und Leute? Wo ist das Engadin stark und wo hinkt es einzelnen Mitbewerbern hinterher? Und was geschieht auf politischer Bühne? Der Blog «Engadin direkt» berichtet persönlich und authentisch.

Von Amelie-Claire von Platen

 

Musik hat mich noch nie derart berührt wie in der Aufführung der Bachschen Johannes-Passion von Origen im Hotel «Reine Victoria» in St. Moritz. Ich sass auf meinem Konzertstuhl und habe geweint. Und auch neben und vor mir wurden die Taschentücher gezückt und Tränen weggewischt.

 

Die Passion erzählt von der Gefangennahme und Verurteilung Jesu, bei dem Pilatus keine Schuld finden kann, der auf Drängen des Volkes gekreuzigt wird, und der als König eines Reichs, das nicht von dieser Welt ist, als Sieger am Kreuz stirbt. Die Geschichte allein, die wir alle kennen, ist unglaublich. Bach vertont sie mit barockem Weltbild, Origen – unter der Leitung von Clau Scherer – präsentiert sie uns «close to perfection». Die Sänger, Chor wie Solisten, und die Orchestermitglieder sind allesamt Berufsmusiker, die am Premierenabend letzten Freitag Höchstleistung dargeboten haben. Der Evangelist, gesungen von Valentin Gloor, hat mir am besten gefallen. Das ist beim Weihnachtsoratorium von Bach ähnlich und liegt sicherlich auch daran, dass er als Erzählfigur den Zuhörer an die Hand nimmt, begleitet und erklärt und dies mit einer eingängigen Erzählmusik, die Platz bietet für sehr ausdrucksstarke und emotionale Sequenzen, je nach Verlauf der Geschichte.

 

Giovanni Netzer, Kopf der gesamten Origen-Programms, und Clau Scherer haben vorab das Publikum eingestimmt und eingeführt in das Passions-Thema aus Sicht des Evangelisten Johannes, den Interpretationsansatz von Johann Sebastian Bach und in den musikalischen Aufbau. Das war sehr wertvoll und hat Verständnis und das Hineinfinden in die Musik um ein Vielfaches erleichtert und gesteigert.

 

Die Dramatik der Verurteilung und Kreuzigung Jesu in der Musik und Sprache wurde durch Jorge Bompadres Lichtinstallation des Theatersaals des Reine Victoria noch verstärkt. Überhaupt wurde der sonst eher plüschig wirkende Saal ganz neu präsentiert, ohne Polstermöbel und lange Samtvorhänge, sondern schlicht und ehrlich. Die Akustik hat dadurch sehr gewonnen und war überraschend klar!

Unter ähnlichen Bedingungen muss wohl auch Herbert von Karajan diesen Saal erlebt haben, denn er war bekanntlich begeistert von seiner Akustik. Die Lichtführung, die man bei Origen ja schon von mehreren Darbietungen kennt, insbesondere auch von den Weihnachtskonzerten in der RhB-Remise in Landquart, brachte zu der akustischen und inhaltlichen Dimension regelrecht noch eine dritte Dimension dazu. Jesu, der Gott einer anderen Welt, des Jenseits, wurde mit dem «Sonnen»-Licht, das durch die Vorhänge des Konzertsaals von aussen eindrang, regelrecht spürbar. In der «Todesstunde» («Es ist vollbracht») war alles dunkel. Weihnachtlich warmes Licht umfing die Musiker im letzten Teil der Passion bei Jesu Grablegung. Der Kreis hat sich geschlossen, wie Clau Scherer anfangs sehr passend beschrieben hatte.

 

So eine professionelle und tiefgründig interpretierte Aufführung der Johannes-Passion von Bach in St. Moritz erleben zu können, verdanken wir dem Engagement von Giovanni Netzer und dem gesamten Origen-Team. Wir können uns glücklich schätzen, ein solches Festival in der Region zu wissen, das auf hohem künstlerischen Niveau zum Teil alt bekanntes neu interpretiert, inszeniert und Neues wagt.

In diesem Sommer, am 31. Juli 2017, wird auf dem Julier der Theaterturm oder «Turm zu Babel» eröffnet, ein temporäres Theaterhaus, das ganzjährig bespielt wird. Das nenne ich mutig und fordert auch das Publikum heraus, sich aus den gewohnten Konzertstühlen zu erheben und sich auf Neues einzulassen.

 

Nicht verpassen aber sollten Sie diese Woche die Johannes-Passion im Hotel «Reine Victoria»:

Dienstag, 11. April und Donnerstag, 13. April 2017: jeweils 18.45 Uhr Einführung, 20 Uhr Aufführung, Tickets: 081 637 16 81, info@origen.ch.

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