Ist Russland unbesiegbar?
Ein Beitrag von Viktor Schewtschuk
Ein Beitrag von Viktor Schewtschuk


Unter dem Namen Viktor Schewtschuk schreibt an dieser Stelle ein ukrainischer Offizier, Militärexperte und Politikwissenschaftler über den Verteidigungskrieg gegen Russland. Er drückt dabei seine persönliche Meinung aus, basierend auf allgemein zugänglichen Informationen.
Viele Menschen glauben, dass Russland in einem Krieg nicht besiegt werden kann. Diese Verklärung der russischen Militärmacht führt dazu, dass die westlichen Staats- und Regierungschefs nicht weiter gehen, als die Ukraine zu unterstützen, «solange es nötig ist». Dieser Mangel an strategischem Weitblick führt zu einem langwierigen Zermürbungskrieg für die Ukraine. Aber ist Russland wirklich unbesiegbar?
Das Russische Reich wurde im Krimkrieg 1853–1856 gegen das Vereinigte Königreich, Frankreich und das Osmanische Reich besiegt. Der russische Zar behauptete, er wolle die orthodoxen Christen im Ausland schützen. Das Russische Reich erlitt eine Seeblockade seiner Hauptstadt Sankt Petersburg, die Bombardierung von Odessa, Rückschläge im Mündungsgebiet des Dnipro und schmerzhafte militärische Niederlagen auf der Krim und in Sewastopol.
Russland verlor den Russisch-Japanischen Krieg von 1904–1905. Der Krieg wurde in Russland mit Begeisterung aufgenommen. Russland verlor die Seeschlacht und die Belagerung von Port Arthur. Die Japaner besiegten die Russen in der Schlacht um Mukden, die Hauptstadt der Mandschurei, und in der Seeschlacht von Tsushima. Russland trat umstrittene Gebiete an die Japaner ab, darunter einen Teil der Insel Sachalin, die zuvor zu Russland gehörte.
Der Erste Weltkrieg wurde in Russland mit noch grösserer Begeisterung aufgenommen als der Krieg mit Japan. Er brach aus, weil Russland unter anderem die «slawischen Brudervölker»auf dem Balkan «schützen» wollte. Zunächst erlitt die russische Armee in Ostpreussen eine Niederlage gegen Deutschland, konnte aber in der heutigen Westukraine Erfolge gegen Österreich-Ungarn verbuchen.
Aufgrund von Missmanagement und falscher Kommunikation wurden die russischen Streitkräfte von der zahlenmässig kleineren deutschen Armee geschlagen. Schliesslich unterzeichnete die Regierung von Sowjetrussland Anfang 1918 einen Friedensvertrag mit Deutschland. Das war nichts anderes als eine Kapitulation, bei der grosse Gebiete, einschliesslich der Ukraine, aufgegeben wurden.
Der Winterkrieg gegen Finnland war für die Sowjetunion nur ein Teilerfolg. Er war eine echte strategische Niederlage der UdSSR, da es ihr nicht gelang, die finnische Staatlichkeit zu untergraben.
Der zehn Jahre dauernde Afghanistankrieg endete mit dem Rückzug der sowjetischen Truppen. Dem Nuklearstaat gelang es nicht, die Guerillabewegung zu besiegen.
Der erste Tschetschenienkrieg (1994–1996) endete mit dem Abzug der russischen Truppen aus Tschetschenien und der faktischen Unabhängigkeit des Landes, bis Russland einen zweiten Versuch unternahm.
Interessant ist, dass Russland in vielen Fällen von seinen militärischen Niederlagen profitiert hat. Nach der Niederlage im Krimkrieg setzte Russland auf soziale und politische Reformen. Vor allem schaffte es die Leibeigenschaft ab – eine Aufgabe, mit der es noch vor Nikolaus I., dem Verlierer des Krimkriegs, gekämpft hatte.
Erst nach der militärischen Niederlage von 1905 erhielt Russland sein erstes eigenes Parlament.
Nach militärischen Rückschlägen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten infolge des Krieges wurde Russland 1917 von einer Monarchie zu einer Republik. Polen, Finnland und die baltischen Staaten konnten sich vom Zarenreich lösen.
Gorbatschows Liberalisierung, Perestroika genannt, fällt zeitlich mit dem Ende des Afghanistankriegs zusammen. Es folgten der Fall der Berliner Mauer und das Ende des Kalten Krieges.
Es wird allgemein angenommen, dass Russland für den Sieg und die Opfer des Zweiten Weltkriegs geehrt werden soll. Kürzlich behauptete Donald Trump, Russland habe in diesem Krieg 60 Millionen Menschen verloren, was nicht stimmt. Aber das ist ein Thema, zu dem wir später kommen.
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